Im Tal des Vajont
sie krank war und dass ich wieder zu ihr kommen könne, sobald es ihr besser ginge, dass ich aber erst einmal fernbleiben solle, weil sie jene Dinge jetzt noch nicht wieder mit mir treiben könne. Ich fragte sie, ob sie, wie meine Säuferintante sagte, eine Lungenentzündung gehabt hätte, worauf sie mit Ja antwortete, sie sei fast daran gestorben, aber jetzt sei sie geheilt, und wir könnten es bald wieder tun, da sie jetzt außer Gefahr sei und nie wieder eine Lungenentzündung bekommen würde.
Erst als ich älter war, so um die zwanzig, wurde mir klar, welche Art von Lungenentzündung sie gehabt hatte und was es bedeutete, wenn sie von Gefahr sprach. Es war die Gefahr, dass sie schwanger werden könnte, und ich glaube, sie war wohl von mir schwanger gewesen.
Nach einiger Zeit kamen wir dann auch wieder zusammen, aber es war nicht mehr wie früher. Etwas war zerbrochen in ihr, denn sie war immer traurig und machte es mit mir wie aus Zwang, als wolle sie mir einen Gefallen tun. So ging ich schließlich, ich war inzwischen über achtzehn, immer seltener zu ihr, auch weil meine alte Säuferintante mir eines Abends sagte, die Leute würden schon herumerzählen, die Frau hätte mich ruiniert und ich sie. Ich glaubte damals nicht, dass ich es war, der sie ruiniert hatte, aber ganz sicher hatte sie mich nicht ruiniert, im Gegenteil, sie hat mir nur Gutes getan. Dass ich sie wohl wirklich ruiniert hatte, das kapierte ich erst als Erwachsener, weil sie mir nie etwas von sich erzählte. Und außerdem, was wusste ich schon von solchen Gefahren? Und es ist nicht einmal gesagt, dass ich für ihr Leid verantwortlich war, wie man herumerzählte, denn meine Tante sagte einmal im Vollrausch, dass die Frau Männer wie Ameisen hatte, dass sie eine war, der alle Männer gefielen, und dass sie selbst mit dem Priester ging, welcher ein schöner Mann war, groß und blond, und der im Winter draußen vor dem Pfarramt im Unterhemd das Holz spaltete, als wäre es Juli. Alle sagten, sie würde mit dem Priester gehen, nicht nur meine Tante.
Sie hatte auch eine Art Geliebten, der um sie herumstrich, er war älter als sie und sah eher wie ihr Vater denn wie ihr Geliebter aus. Doch nach dem, was ich eines Tages auf dem Dorfplatz sehen und hören konnte, schien sie nicht gerade viel Achtung für ihn zu haben. Die zwei standen zusammen mit anderen Leuten vor Pilins Osteria Zur Weißen Amsel . Da kam groß und stolz der Priester Don Chino Planco vorbei und grüßte sie. Die beiden erwiderten den Gruß, doch als der Priester vorüber war, hielt der Geliebte ihr wieder einmal ihre Geschichte mit dem Priester vor. Da wurde sie feuerrot im Gesicht und brüllte ihn an wie eine Furie: »Wenn ich mit dem Priester gehe, dann, weil seiner beim Herausziehen noch größer ist als deiner beim Reinstecken.« Darauf verpasste er ihr eine solche Ohrfeige, dass ihr das Blut aus der Nase lief, sie aber, nachdem sie sich mit der Hand die Nase abgewischt und das Blut gesehen hatte, gab ihm ihrerseits einen Tritt zwischen die Beine, dass er sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Danach hätte er sie fast zu Tode geschlagen und getreten, wenn die anderen ihn nicht festgehalten hätten. So war diese Frau, sie ließ sich von niemandem zähmen und hatte vor nichts Angst. Hin und wieder traf ich sie noch, aber dann redeten wir nur, und stets wiederholte sie denselben Satz, auch noch lange später: »Heute wäre mein Sohn drei Jahre alt, heute wäre mein Sohn vier Jahre alt«, immer dasselbe. Und mit jedem Jahr, das verging, gab sie diesem Sohn, den sie nie gehabt hatte, ein Jahr mehr. Sie sagte mir, dass er gestorben sei, als er noch in ihrem Bauch war, aber als ich später darüber nachdachte, begriff ich, dass ja jene Alte ihr das Kind mit der Stricknadel aus dem Bauch gezogen hatte. Es tat mir in der Seele weh, sie ständig so erniedrigt zu sehen. Wenn ich mir vorstelle, dass dieses Kind, wie sie sagte, auch meines sein konnte, ich weiß nicht, was ich gegen diese verfluchte Alte unternommen hätte, die mit der Stricknadel Kinder umbrachte, damit sie nicht geboren würden. Aber das dachte ich erst, als ich schon erwachsen war, und da war meine Erinnerung bereits verblichen wie trockenes Gras.
Ich war einundzwanzig Jahre alt, als meine Meisterin starb, zuerst erfuhr ich es von meiner Tante. Sie sagte, es sei etwas Schreckliches geschehen, man hätte Maddalena Mora im Stall am Balken erhängt aufgefunden. Man habe nachgeforscht, weil sie seit zwei Tagen nicht mehr
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