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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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verrechnete sich beim Fällen des Baums und wurde von ihm in die Tiefe gerissen. Es war im November, als Santo in sein Dorf zurückgekehrt war, um diese Buche herauszufordern, die ihn dann tötete.
    Diesmal vor der Weißen Amsel begann ich und rasierte mir mit einem Axthieb die Haare ab. Ich wartete darauf, dass auch Santo sich das rechte Hosenbein hochziehen würde, um seine Haare abzurasieren, aber er tat nichts dergleichen. Vielmehr nahm er den Stiel eines Besens, der an der Wand lehnte, legte ihn auf den Vertragsstein, der ihm als Hackklotz diente, und begann, ihn mit seiner Axt, einer schon ganz abgenutzten Müller , wie einen Bleistift zu spitzen. Eine perfekte Ausführung, nicht ein einziges Mal berührte die Axtschneide dabei den Vertragsstein.
    Mir stockte der Atem, aber das war noch nicht alles.
    Nachdem er dem Stiel eine Spitze gehauen hatte, schnitt er sich mit einem famosen Hieb auch die Haare von der Wade. Die Schneide seiner Müller -Axt war also immer noch so scharf wie eine Rasierklinge, denn nicht ein Mal hatte er die Steinplatte berührt, auf der man Verträge unterzeichnete und wo auch der Abdruck eines Fußes zu sehen war.
    Dann hielt mir der alte Santo den Stiel mit der anderen, ungespitzten Seite vor die Nase und sagte: »Jetzt versuch du es!« Ich wusste, dass ich schon verloren hatte, aber versuchte es trotzdem, dem Stiel eine weitere Spitze auf dem Vertragsstein zu hauen. Beim vierten Schlag traf ich den Stein, dass die Funken flogen. Ade, du schöne Schneide. Mit der so ruinierten Axt würde ich nun nicht bloß kein Haar mehr schneiden, selbst für einen Baum war sie nicht mehr zu gebrauchen. Ich musste sie mir von Grund auf neu schleifen.
    Neben der Kerbe meines Axthiebs war auf dem Vertragsstein noch eine andere, viel ältere zu sehen. Und so sagte ich, während ich ihm die Hand drückte, dass wohl schon andere vor mir danebengehauen hätten. Dazu erzählte er mir dann eine Geschichte, doch vorher ermahnte er mich noch, ich solle nie denken, richtig gut zu sein, denn es gibt immer einen, der es noch besser kann, und immer lässt sich etwas dazulernen, auch von Kindern. Außerdem muss ich erwähnen, dass Santo zu meiner zusätzlichen Demütigung sich die Wadenhaare mit der linken Hand abhieb. Doch bevor ich zu seiner Geschichte komme, muss ich noch erklären, was es mit dem Vertragsstein auf sich hat.
    Das war eine Steinplatte aus saldàn , einem dunkelgrünen Gestein, das gern für Wetzsteine verwendet wird. Aber der Vertragsstein diente nicht zum Schärfen von Äxten oder Messern, sondern zum Unterzeichnen von Abmachungen. Seit mehr als hundert Jahren schon lag er draußen vor der Osteria von Pilin, denn nach dem Unterzeichnen der Verträge wurde alles noch mit Wein gleichsam besiegelt. Damals ging es ohne schriftliche Verträge und Notare. Wenn beispielsweise einer einem anderen ein Feld verkaufte, setzte er als Unterschrift seinen nackten rechten Fuß auf die Saldànplatte. Beide machten das Gleiche, Verkäufer und Käufer, erst der eine, dann der andere. Das galt dann als verbindliche Unterschrift, die keiner mehr ungeschehen machen konnte, weder als Lebender noch als Toter.
    Dieser Stein war heilig. Man hatte ihn von den Höhen von Marzàna hergebracht, weil er den Abdruck des rechten Fußumrisses von Christus trug, der diesen eines Tages bei seiner Durchreise darauf hinterlassen hatte. Die Leute damals wollten nicht glauben, dass er Christus sei, und bewarfen ihn mit Steinen, vor allem die aus Pineda und aus Marzàna; selbst verprügeln wollten sie ihn, sodass sie seit jenem Tag keinen Frieden mehr fanden. Mit erhobenem Arm hielt Christus sie zurück, drehte sich um und ging weiter. Er ging barfuß, und als er seinen rechten Fuß auf einen Steinblock aus Saldàn setzte – der härteste, den es auf der Welt gibt –, wurde der Stein unter seinem Fuß mit einem Mal so weich wie ein Brot mit Butterschmalz, und der Fuß von Christus sank in dieses Butterschmalz wie ein mit Glut gefülltes Bügeleisen und hinterließ so seinen bleibenden Abdruck. Da warfen sich die Leute aus Marzàna und aus Pineda auf die Knie, voller Ehrfurcht vor dem Wunder, dessen Zeuge sie geworden waren; nun waren sie sich sicher, dass es tatsächlich Christus war. Aber sie hatten es sich bereits verscherzt, indem sie ihm vorher nicht glauben und ihn sogar verprügeln wollten. Und von diesem Tag an mussten sie für lange Zeit ihre Schuld mit Elend, Mühe und Unglück bezahlen.
    Ich weiß nicht, nach wie vielen

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