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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Schultern zugleich geschoben und gehalten, stolperte Robert die schmale Treppe hinab und durch den schmierigen Ledervorhang, der die Türöffnung verschloß. Hier unten herrschte eine ewige, von Petroleumfunzeln nur dürftig aufgehellte Nacht. In langen Reihen standen rohgezimmerte Tische und Bänke aus altersschwarzem Mahagoni, besetzt mit Zechern, die sich in widrigen Gesängen und Prahlereien ergingen. Die Decke war so niedrig, daß Robert im Eintreten wie jedesmal den Kopf einzog. Ein atemabschnürender Geruch nach nassem Stein, vergossenem Rum und Schweiß, nach Zigarrenrauch und Erbrochenem erfüllte den weitläufigen Raum, in dem nur der Wirt zu jeder Zeit seinen nüchternen Verstand zu wahren schien. Jedenfalls hatte Robert in all den Wochen, die er nun schon hier verkehrte, noch nie beobachtet, daß der hagere Mann hinter dem Tresen auch nur ein Gläschen Rum zu den Lippen geführt hätte oder gar nach Art seiner Gäste durch den Raum getaumelt wäre.
    Immer noch lagen die Hände von Climpsey und Mortimer auf Roberts Achseln, und er mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufwenden, um die beiden nicht einfach abzuschütteln. Paul Climpsey mochte etwa in seinem Alter sein, Anfang Dreißig, Mortimer wenig darüber, und doch fühlte sich Robert in ihrer Gegenwart meist wie ein halbwüchsiger Junge, der von älteren Burschen drangsaliert wurde. Zielstrebig schoben sie ihn durch den Raum, zwischen Tischen und Bänken hindurch, auf den hufeisenförmigen Tresen zu. Sie behandelten ihn wie ein Besitztum, dachte Robert, aber damit würde noch heute Schluß sein. Er verstand überhaupt nicht mehr, wieso er es so weit hatte kommen lassen, aus Einsamkeit, aus Furcht vor der Fremde, dachte er. Dabei war es doch offensichtlich, daß er selbst den beiden ganz gleich war, allenfalls interessierten sie sich für seine Barschaft, gute hundert Pfund, die er ihnen neulich abends offenbart hatte.
    Schnaufend erklomm Mortimer den Hocker zu seiner rechten Seite, behende schwang sich Climpsey zu seiner Linken auf einen Schemel, wobei er dem Wirt ein Zeichen machte. Der nickte ihnen zu und begann, drei Krüge mit Zuckerrohrschnaps zu füllen.
    Aus unerfindlichem Grund wurde der Wirt der Mahagony Bar »Youngboy« genannt, dabei war er sicher schon weit in den Vierzigern, eine knochige Gestalt, beinahe so hochgewachsen wie Robert und von kränklichem, hohläugigem Aussehen. Robert empfand einen unbestimmten Respekt vor dem stets schwarzgekleideten Regenten dieses unterirdischen Reiches, doch da er es weder wagte, ihn nach seinem bürgerlichen Namen zu fragen, noch den albernen Spottnamen über die Lippen brachte, hatte er bis auf einige Floskeln noch kein Wort mit Youngboy gewechselt.
    Als erstes, so hatte er beschlossen, würde er sich durch einen oder zwei Krüge Rum kräftigen und währenddessen versuchen, aus Climpsey und Mortimer herauszuholen, was in den Minuten seiner Ohnmacht geschehen war. (Im Grunde gab es nur zwei Möglichkeiten, dachte er, und das Dumme daran war, daß sie sich gegenseitig ausschlossen.) Anschließend würde er Mortimer auf den Kopf zusagen, daß er ein Dieb sei, und ihn auffordern, den perlmutternen Kragenknopf herauszugeben, den er unrechtmäßig an sich gebracht habe. All diese schönen Worte hatte sich Robert zurechtgelegt, während die beiden Kumpane ihn unter munteren Wortwechseln quer durch die Stadt geschleppt hatten, von Belize Town über die stets belebte Swing Bridge und vorbei an Molton House bis hierher, zu dem riesigen Fort George mit seinen himmelhohen, von Alter und Meersalz geschwärzten Mauern, gegen die Piraten und Spanier in früheren Jahrzehnten immer wieder angerannt waren.
    Youngboy stellte die gefüllten Krüge vor ihnen auf den Tresen, wortlos. Robert sah ihn an und wollte ihm eben zunicken, als ihm ein weiterer niederdrückender Gedanke kam: Seine Schultertasche - wo um Himmels willen mochte sie geblieben sein? Er erstarrte in der Bewegung, und der Schweiß brach ihm aus, obwohl hier im Gewölbe eine fast unangenehme Kühle herrschte. Die Tasche enthielt nicht nur seine Zeichenutensilien, Graphitstifte, Feder, Tintenfaß und einige gerollte Papierbögen, sondern ins Futter eingenäht auch die Hälfte seiner Barschaft, vierzig oder fünfundvierzig Pfund. Er knirschte mit den Zähnen. Diese Schurken, dachte er, wenn ich jetzt nicht ruhig und überlegt handle, bekomme ich weder den Knopf noch mein Geld jemals zurück. Aber wie sollte er nur vorgehen? An einem der langen Tische hinter

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