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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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kam der Gedanke, dass eine Gehirnerschütterung, die niemand kontrollierte, manchmal durchaus tödlich war, doch in dem Moment war mir das vollkommen egal. Immer wieder dachte ich an meinen Bruder, der sich nicht bewegen konnte und auch alle meine Fragen nicht verstand, aber nach einer Weile schlief ich ein und hatte Glück, weil mir Träume erspart blieben.
    Als ich meine Augen wieder aufschlug, stand die Sonne hoch am Himmel, und als ich mein Handy kontrollierte, sah ich, dass ein ganzer Tag vergangen war. Mein Schädel dröhnte immer noch, als ich mich aufsetzte, aber zumindest fühlte es sich nicht mehr an, als würde mir ein Eispickel ins Hirn gerammt.
    Ich trank ein Glas Orangensaft, bestellte mir ein Taxi und ging aus dem Haus.
    Als ich Wills Station erreichte, erschien gerade meine Mutter in seiner Zimmertür, doch bevor sie mich entdeckte, ging ich hinter einem Türrahmen auf Tauchstation. Sie sah wie immer aus, tadellos gekleidet und frisiert, das Paradebeispiel mütterlicher Sorge um den kranken Sohn.
    Mein Bruder war hellwach, als ich in sein Zimmer kam. Abgesehen von den Verletzungen sah er besser als seit Wochen aus. Irgendwer hatte sein blondes Haar gewaschen, seine Wangen waren nicht mehr ganz so eingefallen, und das Zittern seines Armes hatte merklich nachgelassen, als er meine Hand ergriff. Ich hockte mich auf die Bettkante und hielt sie schweigend fest.
    »Tut mir leid, Al«, stieß er krächzend aus. »Ich habe versucht, dich am Telefon zu warnen.«
    »Ich weiß, Schätzchen.«
    »Er hat mein Gesicht wiedererkannt.« Wills Blick driftete in Richtung Fenster ab. »Erst fand ich ihn nett, aber dann kam er fast jeden Abend zu mir in den Bus und hat mir Fragen nach dem Heim gestellt.«
    »Hat er dir auch das Messer gegeben?«, fragte ich, und er nickte mit dem Kopf.
    »Einmal hat er sich meinen Bus geliehen und mich mit in sein Haus genommen. Da habe ich die Kisten oben in dem Zimmer stehen sehen.« Er kniff die Augen zu.
    »Und hat er dir erzählt, wofür er diese Kisten hat?«
    »Er hat mir alles ganz genau erklärt.« Will wandte sich ab. »Und er hat gesagt, dass ich ihm helfen soll.«
    »Und deswegen bist du gesprungen?«
    »Deshalb auch. Aber außerdem hat er mir, glaube ich, etwas in mein Getränk gekippt. Ich habe Engel vor dem Fenster fliegen sehen«, murmelte er. »Ich dachte, sie fangen mich vielleicht auf.«
    Ich drückte seine Hand. Sicher hatte Alvarez das Fenster danach zugeschraubt, damit sich so ein Unfall nicht noch mal wiederholte. Aber mir war immer noch nicht klar, warum er sich darum bemüht hatte, den schwerverletzten Will in Sicherheit zu bringen. Offenbar war er in blinde Panik ausgebrochen, als sein Plan nicht funktioniert hatte.
    Ich sah meinem Bruder forschend ins Gesicht. Trotz seiner Schmerzen wirkte er so ruhig wie schon seit Monaten nicht mehr. Ich atmete tief durch und bereitete mich in Gedanken auf die nächste Frage vor.
    »Was ist passiert, als du in dem Heim warst, Will?«
    Er rutschte unbehaglich hin und her. Am liebsten wäre er aufgesprungen und aus dem Zimmer gestürzt. »Es war nicht so, wie du denkst.«
    »Ach nein?«
    »Erst haben sie mich wie einen Sohn behandelt und mir sogar ein Zimmer ganz für mich allein gegeben.« Der Hauch eines Lächelns zuckte um seinen Mund. »Marie meinte, ich könnte ein Teil ihrer Familie sein. Aber nach ein paar Monaten wollten sie mehr. Du würdest nicht glauben, was ich dort gesehen habe, Al.«
    Ich hielt seine Hand mit meinen beiden Händen fest und sah ihm ins Gesicht. »Haben sie dich gezwungen, dich auf irgendeine Weise an dem zu beteiligen, was dort geschehen ist?«
    Er schüttelte vehement den Kopf. »Ich musste aufpassen, sonst nichts. Sie wollten wissen, ob jemand im Heim anfing zu reden. Ray meinte, wenn ich weglaufe, bringt er mich um.«
    Die Frage, wie er sich in eine derart böse Sache hatte reinziehen lassen können, konnte ich mir sparen, weil die Antwort offensichtlich war. Er hatte sich verzweifelt nach einem Zuhause gesehnt und seiner Meinung nach nichts Besseres als diesen Ort verdient. Seine Krankheit ließ die Grenzen zwischen Alpträumen und Wirklichkeit verschwimmen, und vielleicht sah er, als er jetzt wieder aus dem Fenster blickte, immer noch die weißen Federflügel seiner Engel durch das Glas.
    Ich setzte mich auf den Stuhl an seinem Bett und sah zu, wie er, von den vielen Fragen vollkommen erschöpft, erneut in einem komatösen Schlaf versank. Und dann ergab die ganze Sache plötzlich einen Sinn.

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