Im Totengarten (German Edition)
den Wohnungen rund um den Platz, und Mütter in flauschigen Kaschmirjacken und bequemen, aber trotzdem eleganten Schuhen verfrachteten ihre Kinder in die BMWs und Audis, die man links und rechts der Straße parken sah. Sie starrten mich mit großen Augen an, während ich neben der Toten Wache stand. Schließlich trugen abgerissene Gestalten, die in ihren abgewetzten Laufsachen die Gehwege blockierten, die Verantwortung dafür, wenn das Niveau der Nachbarschaft zu wünschen übrig ließ.
Als Erster tauchte Burns in seinem schmuddeligen blauen Wagen auf. Er kämpfte sich hinter dem Lenkrad seines Mondeo hervor, kam quer über den Platz marschiert und blieb keuchend vor mir stehen. Sein Gesicht war völlig farblos, abgesehen von den dicken roten Adern, die man aus dem Weiß der Augen quellen sah.
»Geht das jetzt schon wieder los, Alice?«, fuhr er mich an.
»Sorry, Don. Scheint allmählich eine dumme Angewohnheit von mir zu sein.«
»Sind Sie okay?« Er zog sich die dicke Brille auf den Nasenrücken und sah mich über die Ränder hinweg forschend an.
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube, ja.«
Ich sah auf meine Hände, doch obwohl es eisig kalt war, zitterten sie nicht. Inzwischen war mein Kopf wie leergefegt, und nicht mal mehr die Umrisse der Frauenleiche in der Plastikhülle machten mir noch Angst. Ich verspürte keine Reaktion, und dort, wo ich normalerweise dachte, war eine riesengroße Lücke.
»Sehen wir sie uns erst mal an.« Burns beugte sich nach vorn und schlug die Plastikfolie zurück.
Die Tote starrte geradewegs an ihm vorbei, als versuchte sie, mir ins Gesicht zu sehen. Das Heulen einer Sirene kam näher, bis der Streifenwagen mit quietschenden Bremsen ein paar Meter vor mir stehen blieb. Burns jedoch studierte weiter das Gesicht der toten Frau. »Armes kleines Ding«, murmelte er, richtete sich wieder auf und bekreuzigte sich kurz. Offensichtlich brach der Schotte in ihm durch, wenn er unter Druck geriet.
Plötzlich entstand auf dem Platz hektisches Treiben. Außer einem Krankenwagen waren noch zwei Vans der Polizei und ein zweiter Streifenwagen aufgetaucht, und irgendwer hatte die Straße abgesperrt.
Ich spürte eine Hand in meinem Rücken, machte auf dem Absatz kehrt und sah, dass Alvarez über die Absperrung gehüpft war. Wie gewöhnlich schaffte er es, gleichermaßen attraktiv wie ungepflegt und zornig auszusehen. Sein Mund bildete einen ausdruckslosen Strich, als verlange jede menschliche Erfahrung dieselbe Neutralität.
»Sie sehen nicht gerade gut aus«, stellte er mit ruhiger Stimme fest. »Wollen Sie sich vielleicht setzen?«
Meine Schultern fingen an zu zittern, deshalb widersprach ich nicht und setzte mich auch nicht zur Wehr, als er mich zu der Bank neben meinem Hauseingang führte.
»Es ergibt nicht den geringsten Sinn«, erklärte ich. »Ich war laufen, und als ich zurückkam, lag sie plötzlich hier. Eingewickelt wie ein Geschenk für mich.«
»Das können Sie nicht wissen«, meinte er. »Vielleicht hatten Sie ja einfach Pech.«
Ich schüttelte den Kopf. »Kein Mensch hat zweimal solches Pech.«
Ich hatte meine Hände in den Schoß gelegt, doch meine Finger führten einen regelrechten Veitstanz auf, und als Alvarez sie drückte, fehlte mir die Kraft, sie ihm zu entziehen. Also nutzte ich die Gelegenheit, um mir seinen Ehering etwas genauer anzusehen – ein dicker, kantiger Weißgoldklotz ohne Gravur, nur mit den kleinen Dellen und Kratzern, die ein solches Stück nun einmal im Verlauf der Jahre abbekam. Er trug den Ring bestimmt bereits seit Jahren, doch aus irgendeinem Grund dachte ich keinen Augenblick an seine Frau. Jeder, der uns beide in dem Augenblick gesehen hätte, hätte uns wahrscheinlich für ein Paar gehalten, das um seine Ehe kämpfte. Ein großer, kräftiger Mann und seine kleine blonde Frau, die sichtlich mit den Tränen rang.
13
Als ich wieder in meine Wohnung kam, saßen Lola und ihr neuer Typ am Küchentisch und fütterten sich gegenseitig mit Croissants.
»Al! Ich dachte, dass du schon bei der Arbeit bist.« Lola war noch immer in das kornblumenblaue Hemd von ihrem Liebsten eingehüllt.
Ich wies mit dem Kopf in Richtung Fenster. »Ich war laufen, und danach war ich da unten.«
Auf dem Platz wimmelte es immer noch von Leuten. Neben dem Bus von meinem Bruder, an der Stelle, wo das tote Mädchen lag, stand jetzt ein weißes Zelt, Streifenwagen fuhren weg, andere kamen an, und ein Fahrzeug sperrte mit eingeschalteten Warnblinkern die Straße
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