Im Totengarten (German Edition)
Unbequemlichkeit zu ihrer offiziellen Politik. Der Raum war kaum größer als ein Lift, verfügte aber zumindest über eine Glaswand, die einem die Illusion vermittelte, man hätte tatsächlich noch die Möglichkeit zur Flucht. Drüben in dem großen Raum herrschte auch weiter reges Treiben, Alvarez jedoch blätterte in aller Seelenruhe einen Stapel Blätter durch. Von Burns war nirgendwo eine Spur. Vielleicht war er immer noch am Providence Square und achtete dort darauf, dass die Spusi ihre Arbeit tat.
Schließlich gab mir Alvarez ein leeres Blatt Papier. »Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, bräuchten wir ein paar Informationen von Ihnen, Alice.«
Ich biss in den nächsten Jaffa Cake und sah ihn fragend an. Der Anstieg meines Blutzuckerspiegels half mir, ganz allmählich wieder klarzusehen.
»Ich brauche eine Liste Ihrer Freunde.« Alvarez schob seine Papiere leicht verlegen auf dem Schreibtisch hin und her.
»Wie bitte?«
»Von allen Ihren bisherigen Partnern. Mit den entsprechenden Daten, falls das möglich ist.«
»Kein Problem.« Ich starrte ihn durchdringend an. »Vorausgesetzt, dass Sie dasselbe für mich tun.«
»Das gehört zu unserer ganz normalen Vorgehensweise, Alice.« Er stand auf. »Sie haben in letzter Zeit einfach zu viele Leichen entdeckt.«
»Bilden Sie sich etwa allen Ernstes ein, ich hätte einmal was mit einem Serienkiller gehabt?«
»Das wissen wir noch nicht. Aber um das ausschließen zu können, brauchen wir ebendiese Aufstellung. Dann werde ich Sie erst mal Ihrer Arbeit überlassen.« An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Sagen Sie einfach Bescheid, falls Sie noch Papier benötigen.«
»Hahaha.« Ich starrte auf das leere Blatt.
Für die Erstellung meiner Liste brauchte ich fast eine Stunde. Nicht weil ich bereits mit Hunderten von Männern im Bett gewesen wäre, sondern weil mein Hirn auf Zeitlupe geschaltet war. Die Leute im Einsatzraum lenkten mich ab, denn sie bewegten sich zwischen der Pinnwand und den Tischen hin und her, als führten sie einen komplizierten Tanz auf. Sie zu beobachten war deshalb deutlich interessanter, als die Einzelheiten meines Sexuallebens für Dritte zu notieren. Jamie Mitchell war der erste Name, der auf meiner Liste stand. Ich war damals sechzehn Jahre alt gewesen, und während des halbstündigen Techtelmechtels unter einer chilenischen Schmucktanne im Greenwich Park hatten wir verzweifelt mit Reißverschlüssen und Kondomen rumhantiert. Danach hatte ich mein Gesicht einer eingehenden Musterung in unserem Badezimmerspiegel unterzogen, um zu sehen, ob mein Gesichtsausdruck plötzlich erwachsen war, dabei aber nichts anderes als Erleichterung verspürt, weil ich endlich keine Jungfrau mehr war. Meine längste Beziehung hatte nach fast einem Jahr geendet, als ich im Praktikum im Maudsley war. Sie hatte super angefangen, schließlich aber hatte seine Mutter immer öfter Andeutungen darüber gemacht, dass der Juli ihrer Meinung nach die beste Zeit für Flitterwochen wäre, deshalb war mir keine andere Wahl geblieben, als zu gehen. Als ich mit der Liste fertig war, hatte ich neun Namen in chronologischer Reihenfolge notiert. Nicht gerade beeindruckend für eine Frau von zweiunddreißig Jahren. Eigentlich wären es zehn gewesen, aber ich beschloss, den Rugbyspieler, mit dem ich am Abend meines Uni-Abschlusses in einer Besenkammer Sex gehabt hatte, nicht zu erwähnen, hauptsächlich, weil mir sein Name längst entfallen war.
Während ich noch mal die Daten all meiner Eroberungen überprüfte, kehrte der DS aus dem Einsatzraum zurück.
»Fertig?«, fragte er und saß plötzlich so dicht an dem kleinen Tisch, dass sich unsere Schenkel fast berührten.
»Hat Ihnen eigentlich noch nie jemand gesagt, dass man den persönlichen Raum eines anderen respektieren soll?«, erkundigte ich mich. »Sie sollten anderen Menschen Platz zum Atmen lassen.«
Er rückte seinen Stuhl einen Zentimeter von mir weg, wandte sich mir wieder zu und sah mich aus so dunklen Augen an, dass schwer zu sagen war, wo seine Pupillen anfingen und endeten.
»Und jetzt brauche ich noch eine Liste Ihrer Freundinnen und Freunde, Verwandten, Kollegen und Kolleginnen.«
»Das ist ja wohl vollkommen lächerlich. Es muss ein Fremder sein. Ich habe diese Handschrift nie zuvor gesehen.«
»In neun von zehn Fällen kommen solche Briefe von jemandem, zu dem man irgendeine Beziehung hat.« Er sah sich wieder meine Liste an. »Treffen Sie diese Männer immer noch?«
»Nur die letzten
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