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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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kichernd aus.
    »Kaffee?«
    »Unbedingt, und mach bitte auch gleich einen für Lars mit.«
    Ich setzte den Wasserkessel auf. »Übrigens, dein Auftritt gestern Abend war einfach der Hit.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte sie mich schmollend. »Schließlich bist du mittendrin abgehauen.«
    »Tut mir leid, aber da war eine alte Flamme, die ich nicht treffen wollte. Ich wusste gar nicht, dass du singen kannst, aber du warst wirklich toll.«
    Lola grinste breit. »Ich habe einfach Bette Midler imitiert.«
    Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Lars inzwischen wieder auf dem Weg zurück ins Gästezimmer war. Aschblond, groß, perfekt gebaut.
    »Hast du Will gestern gesehen?«, wandte ich mich wieder meiner Freundin zu.
    »Nur einmal ganz kurz.« Lola blickte aus dem Fenster auf den Platz, wo sonst sein VW-Bus stand. »Bevor er zu seiner Reiki-Sitzung gegangen ist.«
    »Was genau ist Reiki?«
    »Dabei legen sie die Hände auf deine Druckpunkte und entziehen dir so den Stress.«
    »Und sich selbst gleich mit. Wenn ich vierzig Piepen dafür kriegen würde, dass ich eine halbe Stunde irgendwem die Stirn massiere, würde mein Stresslevel dadurch auf jeden Fall gesenkt.«
    »Du solltest das nicht so einfach abtun, Al.« Lola schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ganz im Gegenteil solltest auch du selbst ruhig mal zu einer solchen Sitzung gehen, weil du nämlich sonst eines Tages einfach wie der Fettsack in Das große Fressen explodierst.«
    Fröhlich lächelnd nahm sie sich die beiden frisch gefüllten Kaffeebecher und eilte damit zurück zu ihrem Schatz.
    Als ich noch im Dunkeln loslief, sah die frostbedeckte Straße aus, als hätte jemand sie mit weißem Glitzerzeug bestreut. Schon nach ein paar hundert Metern gab ich meine Absicht, möglichst schnell und weit zu laufen, wieder auf, weil das Ei in meinem Magen Purzelbäume schlug. Mitten auf der Tower Bridge machte ich halt und blickte hinunter auf den schiefergrauen Fluss, in dem sich die Scheinwerfer der Autos auf den Uferstraßen spiegelten, während ein halbes Dutzend Schlepper seine Oberfläche in kräuselnde Bänder zu zerschneiden schien. Bereits wenige Minuten später blieb ich noch mal stehen und bewunderte die alte Hafenmeisterei am St. Katherine’s Dock. Sie ist für mich das schönste Haus der ganzen Stadt, unter anderem, weil man durch die Erkerfenster in den beiden Stockwerken direkt hinunter auf die Themse blicken kann. Am liebsten wäre ich dort eingebrochen, hätte mich auf einer der Fensterbänke zusammengerollt und zugesehen, wie das Licht der aufgehenden Sonne auf die Werften und die Türme fiel. Bis zur Wapping Wall legte ich tempomäßig etwas zu, und als ich zum Limehouse Basin kam, gingen dort hinter den Fenstern allmählich die ersten Lichter an. Ich hatte den bei Flut typischen Salzgeschmack im Mund und dankte Gott, dass mein Apartment nicht in dieser Gegend lag, denn die Schleuse war total vermüllt. Leere Bierdosen und Zigarettenpäckchen trieben auf die Tore zu, und ich lief erleichtert auf den Uferweg zurück, wo ich die schimmernden Bürotürme an der Canary Wharf wie in einem Las Vegas der Finanzwelt in den Himmel ragen sah. An jedem Turm prangte der Name einer anderen Bank, dessen bunte Lettern man selbst nachts noch weithin sah. Will hatte mir nie wirklich erklären können, warum er Börsenhändler geworden war. Dabei schien es hauptsächlich um das Jonglieren mit riesigen Summen für Kunden gegangen zu sein, denen er nie persönlich begegnet war. Vielleicht hatte er eine undurchdringliche Mauer aus Geld um sich herum errichten wollen, um nie wieder auch nur den leisesten Luftzug zu spüren.
    Zwei Jogger kamen mir entgegen und sahen mich beide mit dem gleichen leicht verlegenen Lächeln an, als hätte man uns bei etwas erwischt, was niemand anders verstand. Vielleicht hatten sie ja recht. Laufen vor Tagesanbruch hat etwas Masochistisches. Ein Teil des Hirns fragt einen ständig, warum man nicht im Bett liegt und gemütlich ausschläft wie jeder normale Mensch. Dann wankte mir ein alter Mann entgegen und stützte sich dabei so schwer auf seinen Stock, als wäre in seiner Welt auf nichts anderes mehr Verlass.
    Die verspiegelten Gebäude an der Canary Wharf waren in ein pinkfarbenes Licht getaucht. Am liebsten wäre ich gerannt, bis ich sie berühren konnte, aber dafür reichte meine Zeit nicht mehr, und so blieb ich am Ufer stehen und zählte die Kirchen auf der anderen Flussseite. Sie versteckten sich hinter den Werften, und

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