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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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den Kopf. »Heute Abend nicht. Ich haben ihnen gesagt, die Nachtschicht übernähme ich.«
    »Du eingebildeter Kerl.«
    »Wir könnten natürlich auch aufhören, aber das willst du ja wohl nicht.« Er küsste mich erneut.
    Für eine Antwort fehlte mir die Luft.
    »Bis zu mir sind es nur zehn Minuten«, flüsterte er rau. »Ich hole nur schnell meine Sachen, und dann fahre ich dich nach Hause.«
    Schweigend gingen wir am Ruskin Park vorbei, doch er hielt meine Hand so fest, dass meine Knöchel schmerzten, zog mich ein ums andere Mal in den Schatten des eisernen Zauns und küsste mich, bis mir vollkommen schwindlig war.
    Trotzdem hatten wir nach wenigen Minuten unser Ziel, die Kemerton Road, erreicht.
    »Hier ist es. Trautes Heim, Glück allein.« Er sah mich grinsend an.
    »Nett«, stellte ich nickend fest, als ich das große, viktorianische Reihenendhaus mit dem Erkerfenster sah. Es wirkte elegant, sah aber gleichzeitig etwas heruntergekommen aus.
    »Möchtest du mit reinkommen, während ich meine Sachen packe?«, bot er an und küsste mich erneut.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich warte lieber hier.«
    Er joggte die Stufen zu seinem Haus hinauf, als ich spürte, dass mein Handy in der Tasche meines Mantels vibrierte. Am liebsten hätte ich es einfach abgestellt, aber sicher war es Will. Bestimmt war er inzwischen zur Vernunft gekommen, und ich müsste ihn irgendwo abholen. Zwar erkannte ich die Nummer nicht, aber er musste es ganz einfach sein. Wer sonst riefe mich denn wohl spätabends von einer Telefonzelle aus an?
    Er schluchzte in den Hörer.
    »Beruhig dich, Will. Wo bist du? Ich komme und hole dich ab.«
    Er versuchte, sich zusammenzureißen, räusperte sich kurz und setzte zu einer Erklärung an.
    Doch als ich die Stimme schließlich erkannte, war es nicht die von Will.
    »Es ist etwas Schreckliches passiert.« Zum allerersten Mal war die eisige Selbstbeherrschung, mit der meine Mutter immer sprach, erschüttert. Sie klang wie ein Kind, das unter einem Alptraum litt.
    Während ich mein Handy wieder in die Tasche schob, erschien Alvarez mit einer Tasche über seiner Schulter vor dem Haus.
    »Ich muss sofort ins Krankenhaus. Es ist wirklich dringend«, murmelte ich.
    »Ich bringe dich schnell hin.« Er war schon auf dem Weg zu seinem Wagen, als ein Taxi auf uns zugefahren kam.
    »Tut mir leid, aber ich fahre besser allein.«
    Als das Taxi losfuhr, presste ich die Hand gegen das Fenster, doch er winkte nicht, sondern stand noch immer reglos neben seinem Wagen, als überlegte er, ob es besser wäre, hinter mir herzufahren oder mich einfach ziehen zu lassen.

19
    Das Taxi kroch im Schneckentempo durch die Old Kent Road, vorbei an einer Reihe von Cafés und den winzigen Läden, in denen Tejo und ich in unserer Studentenzeit oft gewesen waren und wo sich die Ballen leuchtend bunter, indischer Seide bis unter die Decken stapelten. Die Türen waren mit Metallgittern gesichert, als würden die Geschäfte die Nacht nur mit einer schweren Rüstung überstehen.
    Schließlich setzte mich der Fahrer auf der falschen Seite des Platzes ab, und ich rannte, ohne nachzudenken, auf den Bermondsey-Flügel des Krankenhauses zu. Es hätte keinen Sinn, irgendwelche Spekulationen anzustellen, bevor ich von meiner Mutter hörte, was genau geschehen war.
    Sie wartete im Korridor des dritten Stocks. Nichts wies darauf hin, dass sie sich gestattet hatte, auch nur eine Träne zu vergießen, und mit ihrer Samtjacke, den Lacklederschuhen und dem tadellos frisierten Haar war sie wieder einmal der Inbegriff damenhafter Eleganz. Vielleicht war sie im Theater oder mit Freunden in einem Restaurant gewesen, als der Anruf gekommen war. Sie zuckte zusammen, als ich sie auf die Wange küsste und mich neben ihr auf die Plastikbank sinken ließ.
    »Was ist passiert, Mum?«
    Sie presste ihre Lippen aufeinander. »Sie wollen mir nicht sagen, woher die Verletzungen stammen.«
    »Ich dachte, er wäre zusammengebrochen. Von Verletzungen hast du kein Wort gesagt.«
    »Wie hätte ich das auch machen sollen? Schließlich hast du einfach aufgelegt, bevor ich fertig war.« Der Blick aus ihren grauen Augen wurde kalt. »Sie denken, er wäre vielleicht gestürzt.«
    »Gestürzt?«
    »Hör auf, Alice«, fuhr sie mich an. »Wie soll ich richtig denken, wenn du alles, was ich sage, wiederholst?«
    »Tut mir leid, sprich einfach weiter«, bat ich sie.
    »Danke.« Sie fixierte mich mit ihrem besten Bibliothekarinnenblick und fuhr ausdruckslos fort: »Er wurde auf einem

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