Im Totengarten (German Edition)
verhalten, bis ich irgendeinen Grund, zu gehen, fand.
»Also, woher kennen Sie Hari?«, fragte ich.
»Eigentlich kenne ich eher Tejo«, antwortete er. »Sie ist einfach unglaublich. Ganz eindeutig keine Wald-und-Wiesen-Psychologin wie die meisten anderen.« Er sah auf seinen Teller, doch bevor er weitersprechen konnte, mischte sich die Frau zu seiner Rechten ein. Sie war offenkundig völlig wild darauf, seine Aufmerksamkeit zu wecken, und so säuselte sie: »Apropos Wälder und Wiesen. Ich bin leidenschaftliche Gärtnerin.«
Er wandte sich ihr zu. Sie war durchaus gutgebaut, hatte rötlich braunes Haar und ein rosiges, lebendiges Gesicht. Anscheinend hatte sie sich für den Abend ohne Alkohol gewappnet, indem sie vorher noch im Pub gewesen war. Ihre Stimme klang etwas undeutlich, während sie versuchte, Alvarez in ihren Bann zu ziehen. Sie erklärte ihm ausführlich, was der Vorteil mehrjähriger gegenüber einjähriger Pflanzen war, und flatterte wie wild mit ihren Lidern, während sie gestand, dass sie dringend Hilfe beim Ausgraben eines Sommerflieders bräuchte, der wild neben ihrer Terrasse wuchs.
Kyoko bedachte mich mit einem mitfühlenden Blick, beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir zu: »Keine Angst. Sie gefallen ihm deutlich besser als die andere.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mir egal. Haben Sie seinen Ehering nicht gesehen?«
Kyoko zog die Brauen hoch. »Das ist nicht die ganze Wahrheit, Alice.« Sie hielt ihren Daumen und den Zeigefinger hoch, als hielte sie darin ein Stückchen Porzellan. »Sie sehen nur einen kleinen Teil.«
»Wie bitte?«
Sie setzte ein sanftes Lächeln auf. »Männer tragen Eheringe aus vielen verschiedenen Gründen, oder nicht?« Dann wandte sie sich wieder ab und sprach mit jemand anderem.
Alvarez war immer noch mit der brünetten Frau ins Gespräch vertieft, die inzwischen ihren Ausschnitt direkt vor ihm auf dem Tisch platziert hatte, wo er ihrer Ansicht nach wahrscheinlich möglichst vorteilhaft zur Geltung kam. Deshalb konzentrierte ich mich ganz auf die Köstlichkeiten, die es gab. Tejo hatte extra alle meine Lieblingsspeisen aus unserer WG-Zeit – Linsencurry, Okra, vor Kokosnuss triefendes Naan-Brot – aufgetischt. Gleichzeitig versuchte ich noch immer zu ergründen, weshalb Alvarez so tun sollte, als wäre er verheiratet, wenn er geschieden war, als er mit einem Mal wieder in meine Richtung sah.
»Tolles Essen«, meinte er und tauchte ein Stück Brot in einen Teller voll Raita. »Auch wenn ich es überraschend finde, dass es Ihnen schmeckt.«
»Und warum?«
»Weil es im Gegensatz zu Ihnen nicht besonders britisch ist.«
»Ich kann mir denken, was Sie damit sagen wollen«, stellte ich fest und verdrehte die Augen. »Jetzt kommt bestimmt die Leier, der zufolge alle Briten zwar die Queen abgöttisch lieben, aber davon abgesehen nie ihre Gefühle zeigen, stimmt’s?«
»Das würde mir nicht einmal im Traum einfallen.« Er hob unschuldig die Hände. »Weil es nämlich meiner Meinung nach ziemlich viele Gemeinsamkeiten zwischen Engländern und Spaniern gibt – sie sind gleichermaßen loyal, trotzig und gelegentlich ein bisschen arrogant. Der einzige Unterschied ist der, dass ihr nicht kochen und tanzen könnt.«
»Quatsch. Ich bin eine großartige Tänzerin.«
Als er sich von den Limonenpickels nahm, bekam ich die Gelegenheit, ihn mir von der Seite anzusehen. Er hatte sich sein zerzaustes schwarzes Haar aus der Stirn gekämmt, und auf seiner Haut waren eine Reihe feiner Bartstoppeln zu sehen. Die schmale vertikale Linie zwischen seinen Brauen war noch da, und aus irgendeinem Grund hätte ich sie gern berührt und konnte meine Hände nur mit Mühe ruhig links und rechts von meinem Teller behalten.
»Also los, erzählen Sie mir, wie Sie in London gelandet sind«, forderte ich ihn auf. »Sie können mir unmöglich entfliehen, also schießen Sie am besten einfach los.«
»Ich fände es entsetzlich, Sie zu langweilen, Alice. Schließlich ist mir klar, dass Ihre Aufmerksamkeitsspanne gegenüber Männern nicht allzu groß ist.«
»Ich werde es Sie wissen lassen, wenn mir langweilig wird.«
Er balancierte seine Gabel auf dem Teller und blickte mich ausdruckslos an. »Mein Vater wuchs in einem kleinen Ort am Meer in der Nähe von Valencia auf. Die Menschen pflanzen dort Orangenbäume und halten ansonsten ständig Siesta.«
»Klingt perfekt.«
»Nicht für ihn. Er war auf Abenteuer aus, deshalb trampte er schließlich nach Madrid, schrieb dort für El
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