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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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war so was vollkommen normal. Niemand ging zu einem Psychologen, wenn er nicht bereit war, gegen seine Probleme anzuschreien.
    »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, fuhr er den Tränen nahe fort. »Sie geben sie mir nicht einmal zurück.«
    Ich versuchte, den Gedanken an die beiden Frauen zu verdrängen, die Seite an Seite in der Kühlkammer des Krankenhauses lagen, aber direkt vor mir auf dem Tisch lag neben einem Whiskeyglas eine Aufnahme von Suzanne Wilkes. Das Glas war mit verschmierten Fingerabdrücken übersät, und als mir um diese frühe Uhrzeit der Geruch von Alkohol entgegenschlug, wurde mir schlecht. Die Frau auf dem Bild sah völlig anders aus als die, über die ich neben Wills Gefährt gestolpert war. Sie stand dort Arm in Arm mit ihrem Ehemann und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Sie musste ungefähr so groß gewesen sein wie ich, denn ihr Kopf reichte ihm knapp bis an die Schulter, doch im Gegensatz zu meinem wurde ihr zartes Gesicht von einem Helm aus glattem schwarzen Haar gerahmt.
    »Wie lange waren Sie verheiratet?«, erkundigte ich mich.
    Seine Stimme wurde etwas ruhiger. Vielleicht waren meine Fragen ja eine willkommene Ablenkung für ihn. »Seit letztem Juni«, antwortete er. »Die Hochzeit fand auf Zypern statt. Sie hatte das alles geplant, die Einladungen verschickt und die Hotelzimmer gebucht.«
    Früher oder später würde jemand auch ihren Verwandten sagen müssen, was geschehen war. Burns saß neben mir, versuchte, den Blick unseres Gastgebers auf sich zu ziehen, warf hin und wieder eine Frage ein und schrieb sich die wirren Antworten des Mannes auf. Ich beobachtete seine Reaktionen und versuchte rauszufinden, weshalb Burns derart versessen darauf war, dass ich selbst an meinem freien Sonnabend mit ihm zusammen durch die Gegend fuhr. Weil sich über Wilkes nichts anderes sagen ließ, als dass er noch in der ersten Trauerphase steckte, die sich über Monate erstrecken könnte und in der es darum ging, zu leugnen, was geschehen war.
    Ich stand auf und ging ins Bad. Es sah noch genauso aus, wie Suzanne es zurückgelassen hatte. Der Schrank über dem Waschbecken war bis zum Rand gefüllt mit Nagellack, Augen-Make-up und Cremes. Dutzende von schon seit Wochen unberührten Gegenständen, die Mark stets aufs Neue deutlich machten, dass seine geliebte Frau nie mehr nach Hause kam.
    Dann ging ich wieder durch den Flur, in dem es noch andere Fotos von ihr gab. Ich entdeckte eins, auf dem Suzanne inmitten einer Menschengruppe stand, und musste zweimal hinsehen, als mein Blick auf eins der anderen Gesichter fiel. Ich erkannte ihn sofort. Morris Cley stand direkt neben ihr und winkte fröhlich in die Kamera. Offenbar stammte das Bild noch aus der Zeit, bevor er in den Knast gewandert war, denn er sah völlig anders, nicht so grau und gramerfüllt wie heute, aus. Außer Gray standen auf diesem Bild noch acht oder neun andere Menschen in einem nicht sonderlich gepflegten Garten um Suzanne herum, aber vielleicht waren es auch mehr gewesen, was jedoch, da irgendwer das Foto passend zu dem Rahmen zurechtgeschnitten hatte, nicht mehr zu erkennen war.
    Aus irgendeinem Grund begann mein Herz zu rasen, dabei gab es mindestens ein Dutzend vollkommen banaler Gründe, aus denen sie vielleicht mit jemandem wie Cley bekannt gewesen war. Bestimmt hatte ihr Job sie nicht nur mit Southwarks Obdachlosen, sondern auch mit anderen Personen, die am Rande der Gesellschaft standen, in Kontakt gebracht.
    Als wir wieder auf die Straße traten, lehnte Burns sich erst einmal erschöpft gegen die Wand. Er keuchte wie nach einem Marathon.
    »Armes Schwein.« Er nahm seine Brille ab und massierte seine Nase. »Ich bin trotzdem froh, dass wir zu ihm gefahren sind. Und jetzt raten Sie mal, wo Suzanne im Rahmen ihrer Arbeit regelmäßig war, Alice.«
    »Überraschen Sie mich einfach.«
    »Bei den Bensons«, klärte er mich triumphierend auf. » Street Safe hat sie in das Heim geschickt, um den Mädels bei der Jobsuche zu helfen.«
    »Noch eine Verbindung«, murmelte ich leise, während ich wieder in den Mondeo stieg.
    Als das East End im Seitenspiegel von Burns’ Mondeo verschwand, sog ich die Sehenswürdigkeiten Londons wie eine Touristin kurz nach ihrer Ankunft in mich auf. Eine Menschenschlange wartete am Tower darauf, eine Unsumme dafür zu zahlen, sich die weltgrößte Klunkersammlung anzusehen. Burns redete ohne Pause in seinem beruhigenden schottisch-Londoner Mischmasch auf mich ein. Wie gewöhnlich bat er mich darum,

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