Im Totengarten (German Edition)
etwas für ihn zu tun, woran mir nicht das Geringste lag.
»Sie können morgen hinfahren, nicht wahr? Sie brauchen schließlich nicht den ganzen Tag dafür.«
»Weshalb sollte ich wohl auch nur einen Bruchteil meiner freien Zeit damit vergeuden, noch mal Marie Benson zu besuchen?«
Er runzelte die Stirn. »Weil sie der Schlüssel zu dem Ganzen ist, Alice. Sie hatten ganz eindeutig recht damit, dass unser Mann der Vorsitzende des Benson-Fanclubs ist. Sie muss wissen, wer er ist.«
»Sie wird mir nichts erzählen, Don. Weil die Zurückhaltung von Informationen das einzige Druckmittel ist, das sie noch hat.«
Ich hätte Burns gerne erklärt, dass meiner Meinung nach der Mörder vielleicht auch ein völlig Unbekannter war, der einfach auf die grässlichen Geschichten abfuhr, die in seiner Kindheit über die Verbrechen dieses Paars geschrieben worden waren. Und wer konnte schon sagen, welche Informationen damals alle durchgesickert waren? Doch ich konnte mir die Mühe sparen, auch nur zu versuchen, vernünftig mit Burns zu reden, wenn er sich in was verbissen hatte, und als ich mich letztendlich bereit erklärte, Marie Benson noch mal zu besuchen, sah er mich mit einem selbstzufriedenen Lächeln an. Weil er es erneut geschafft hatte, mich dazu zu bewegen, etwas gegen meinen Willen für ihn zu tun.
Seine Technik, so lange an mir herumzureden, bis ich mich am Schluss geschlagen gab, hatte wieder mal Erfolg gehabt.
Es war bereits Mittag, als mich Burns vor dem Krankenhaus absetzte, und ich stählte mich für den Besuch bei Will, als mir plötzlich einfiel, dass ich auch bei Laura Wallis schon seit längerem nicht mehr gewesen war. Um mich nicht sofort dem Anblick meines Bruders aussetzen zu müssen, ging ich erst auf die Station, auf der sie lag. Denn es würde mich bestimmt ein wenig aufheitern, zu sehen, dass sie nicht mehr völlig abgemagert war.
Als ich in ihr Zimmer kam, lag eine andere Patientin in dem Bett, und auch ihre Mutter, die kaum je von ihrer Seite wich, war nirgendwo zu sehen.
Kurz entschlossen sprach ich eine Krankenschwester an. »Wissen Sie, wo Laura Wallis zwischenzeitlich liegt?«
Sie wirkte leicht verwirrt. »Tut mir leid, ich bin gerade erst zum Dienst gekommen, da müsste ich erst nachsehen.«
Eilig lief sie los, um die Stationsschwester zu fragen. Sicher hatte Laura irgendeinen gutmütigen Assistenzarzt so lange bekniet, bis sie vor Erreichen ihres Zielgewichts entlassen worden war, lungerte zu Hause auf der Couch herum, quatschte stundenlang am Telefon mit ihren Freundinnen und bereitete alles für ihre Geburtstagsparty vor.
Eilig kam die Stationsschwester den Gang herab.
»Ich habe Ihnen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, Dr. Quentin«, fing sie an. »Kommen Sie doch bitte kurz mit rein.«
Ich folgte ihr in das stickige Kabuff, in dem ihr Schreibtisch stand. Sie hatte ein forsches, aber durchaus angenehmes Wesen, einen ausgeprägten Belfaster Akzent und redete nicht lange um den heißen Brei herum.
»Ich fürchte, wir haben sie letzte Nacht verloren.«
»Wie verloren?« Obwohl sie laut und deutlich sprach, hinkte mein Gehirn mindestens zwei Schritte hinterher.
»Laura litt an einer Herzrhythmusstörung. Zwar wurde sie noch auf die Intensivstation verlegt, aber da war es bereits zu spät.«
»Aber ihre Nierenfunktion hatte sich doch verbessert, und sie hatte auch schon zugenommen«, stotterte ich verwirrt.
Die Schwester nickte mir mitfühlend zu. »Ich weiß, aber der Herzmuskel war schon zu stark geschädigt. Das ist bei Anorexiepatientinnen leider häufig der Fall.«
In meinem Inneren zerbarst etwas. Beinahe konnte ich es hören wie ein Läufer, dessen Achillessehne riss. Vielleicht werden wir alle von unsichtbaren Gummibändern zusammengehalten, die wir erst bemerken, nachdem sie verschlissen sind.
Die Schwester legte eine Hand auf meine Schulter. »Bleiben Sie ruhig hier, bis es Ihnen wieder bessergeht.« Damit trat sie in den Flur hinaus, zog die Tür hinter sich zu und trottete davon, um weiter in ihrem Reich nach dem Rechten zu sehen.
Schon nach wenigen Sekunden hatte ich den Eindruck, als kämen die Wände auf mich zu, und zwei Minuten später galoppierte ich durchs Treppenhaus, stürzte durch die Tür auf eine kleine Grünfläche und spuckte mein Frühstück wieder aus. Keine Ahnung, weshalb ich mit einem Mal so fertig war. Vielleicht weil Laura sich so sehr bemüht hatte, wieder nach Hause und zu ihren Freundinnen zu kommen, oder vielleicht auch,
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