Im Visier des Verlangens
heute früh von meinem Rechtsanwalt.“
„Vielen Dank.“ Der Marquess warf Kate einen flüchtigen Seitenblick zu, ohne ihr ins Gesicht zu sehen. „Lady Kathleen.“
Ned, der die kleine Unhöflichkeit natürlich nicht bemerkte, schlug seinem Cousin kameradschaftlich auf die Schulter. „Allerdings würde ich es sehr begrüßen, wenn du schleunigst einen Erben zeugst. Ich fühle mich nicht sonderlich wohl, ständig an deinem Haken zu hängen.“
„Lass nur“, entgegnete Lord Blakely knapp, während sein Blick den seiner Frau suchte, die ihm einen sanften Rippenstoß versetzte. „Nein“, fuhr er leise seufzend fort. „Aber danke für deine Wünsche. Ich reiße mich nicht um einen männlichen Nachkommen und liebe meine kleine Prinzessin abgöttisch. Du und deine Angetraute, ihr könnt den verdammten Titel gern haben, wenn ich einmal nicht mehr bin.“ Sein Blick flog wieder zu Kate, als sei es irgendwie ihre Schuld, keine Zwillingsknaben zur Welt gebracht zu haben, während ihr Ehemann eine halbe Erdkugel von ihr entfernt war.
Kate sollte die Rolle der Gastgeberin übernehmen und für eine entspannte Atmosphäre sorgen, kam sich indes vor wie ein Eindringling in ihrem eigenen Haus, als sei sie es, die nach einer überstürzten Abreise und dreijähriger Abwesenheit zurückgekehrt war. Vermutlich aber war ihre Beklommenheit nur auf Louisas gefährliche Situation zurückzuführen. Andererseits hatte sich diese Entfremdung, dieses Gefühl fehlenderZugehörigkeit wesentlich früher eingestellt, lange bevor sie überhaupt wusste, in welcher Notlage Louisa sich befand.
Diese Entfremdung war allmählich gewachsen, nachdem ihr Ehemann England den Rücken gekehrt und Kate seinen Cousin dafür verantwortlich gemacht hatte, ihn nach China geschickt zu haben. Wie dumm von ihr. Im Grunde genommen hatte sie gewusst, dass Ned aus freien Stücken gegangen war. Er hatte sich diese Trennung ebenso sehr gewünscht, wie sie gewünscht hatte, er würde bleiben. Außerdem hegte sie eine Abneigung gegen die Marchioness, die sie um ihre Freundschaft mit Ned beneidete. Kate wusste sehr wohl, dass ihr Groll weder begründet noch verständlich war. Aber ihre Verbitterung, verlassen worden zu sein, war zu mächtig, um sie gegen eine einzige Person zu richten.
Im Laufe der letzten Jahre war die familiäre Beziehung erheblich abgekühlt. Eine andere Frau hätte vermutlich versucht, die Wogen zu glätten, Kate hingegen hatte sich zurückgezogen. Sie hatte ihren eigenen Bekanntenkreis und sah sich nicht genötigt, ihre angeheiratete Verwandtschaft darin einzubeziehen.
Die Konsequenz ihrer kühlen Haltung war klar: Alle Anwesenden in diesem Salon würden sie verdammen, wenn sie wüssten, was sie getan hatte.
Ihr größter Feind war der Mann, der ihren Gatten als Nächster begrüßte. Der Earl of Harcroft, schlank und hochgewachsen, in Neds Alter, wirkte allerdings jünger, faltenlos und voller Elan. Der Earl, dachte Kate bitter, ist der strahlende Hoffnungsträger der Familie. Ein glänzender Kricketspieler und Fechter, unbestrittener Meister im Schachspiel und gefragter Kunstexperte, vorwiegend auf dem Gebiet flämischer Genremalerei. Er spendete großzügige Summen für wohltätige Einrichtungen, fluchte nie, besuchte regelmäßig den Sonntagsgottesdienst und sang Kirchenlieder in seinem volltönenden Bariton.
Und er verprügelte seine Frau, sorgsam darauf bedacht, sienur an Stellen zu schlagen, wo die Blutergüsse nicht zu sehen waren. Als Louisas Ehemann stand ihm seiner Meinung nach das Recht zu, seine Frau zu züchtigen, und falls er je herausfand, dass Kate sie versteckt hielt, könnte er sie durch richterlichen Beschluss zwingen, sie ihm auszuhändigen.
Diese Chance wollte Kate ihm nicht geben.
Ned ließ Harcrofts Hand los und blickte sich suchend im Salon um. „Wo ist Louisa?“, fragte er aufgeräumt. „Ich hoffe, sie ist nicht wieder unpässlich.“
Schweigen senkte sich über den Raum, die Gäste tauschten Blicke. Kate straffte die Schultern. Lady Blakely sank auf das Sofa, strich sich fahrig über die Röcke ihres fliederfarbenen Kleides und warf ihrem Mann einen unschlüssigen Blick zu, der ihr mit einem unmerklichen Kopfnicken die Aufgabe übertrug, Ned aufzuklären.
„Wir wissen nicht, wo sie sich aufhält“, sagte Lady Blakely schlicht. „Aber da du soeben erst zurückgekehrt bist, soll das deine Sorge nicht sein.“
Natürlich. Sie waren gekommen, um mit Kate zu sprechen. Und es war kein gutes Zeichen, dass
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