Im Visier des Verlangens
Ihnen umgehend einen Boten, wenn mir etwas einfällt.“
Harcroft schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Ned, alter Freund, du hast gefragt, ob du behilflich sein kannst. Es ist anzunehmen, dass ein Mietkutscher meine Frau nur ein paar Meilen von hier abgesetzt hat, und nichts weist darauf hin, dass sie die Gegend wieder verlassen hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie sich hier in der Nähe aufhält.“
Ein eisiges Frösteln durchrieselte Kate. Harcroft fixierte sie mit seinem kalten Blick, als könne er ihre Gedanken lesen, als könne er jedes einzelne Haar sehen, das ihr bei dieser unerbittlichen Schlussfolgerung zu Berge stand. „Ich bitte dich lediglich“, fuhr er fort, „deine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen zu dürfen, während ich meine Nachforschungen anstelle.“
Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Kate rang sich ein gekünsteltes Lächeln ab, während sie ihre wirren Gedanken zu ordnen suchte. „Aber selbstverständlich. Sehr gern“, entgegnete sie liebenswürdig. „Ich lasse uns Tee und Gebäck kommen, und Sie erklären uns, wie wir behilflich sein können.“
4. KAPITEL
J enny“, sagte Ned, als Kate den Raum verlassen hatte, „bevor wir über Louisa sprechen, möchte ich dich etwas fragen.“
Jenny, die neben ihrem Ehemann auf dem bestickten Damastsofa saß, lächelte zu ihm auf und lud ihn mit einer Handbewegung ein, neben ihr Platz zu nehmen. Ned rückte sich einen Stuhl zurecht und neigte sich ihr zu. Was er ihr zu sagen hatte, ging ihm schon seit einer Stunde durch den Kopf. Unter den gegebenen Umständen war es zwar unangebracht, ihr die Frage zu stellen. Dennoch …
„Warum hast du mir nicht geschrieben, dass gewisse Herren des ton eine Wette abgeschlossen haben, um meine Frau zu verführen?“
Jennifer Carhart hatte sich nach Neds Erfahrung nie zuvor als Feigling erwiesen. Diesmal aber wandte sie betreten den Blick. „Briefe brauchen eine endlos lange Zeit, um den Ozean zu überqueren“, beteuerte sie nach kurzem Zögern, ohne ihn anzusehen. „Und Lady Kathleen, also Kate, reagierte völlig ungerührt, als sie von dieser Wette erfuhr. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es ihr lieb gewesen wäre, wenn ich mich einmische. Im Übrigen brauchtest du …“ Sie führte den Satz nicht zu Ende und zeichnete mit dem Finger Kreise auf ihrem Handrücken.
„Was brauchte ich?“
„Du brauchtest schließlich Zeit, um dir über alles klar zu werden.“ Jenny wischte ihm zerstreut eine nicht vorhandene Staubfluse vom Revers.
„Herrgott!“, fluchte Ned.
In all den Jahren war es Jenny gewesen, der er seine Jugendsünden gebeichtet hatte. Und jedes Mal, wenn er wieder einmal in der Tinte saß, hatte sie ihm geholfen, mit sich ins Reine zu kommen. Sie war wie eine Schwester für ihn, eine Vertraute, die ihm buchstäblich das Leben gerettet hatte. Vielleicht wardas der Grund, warum sie jetzt hier saß, um ihn zu schützen, als sei er immer noch der verwöhnte Bengel von früher.
„Nächstes Mal“, fügte er leise hinzu, „sag mir bitte Bescheid.“
„Worüber denn?“ Harcrofts barsche Stimme ertönte hinter Ned, der sich zögernd umdrehte. „Willst du uns etwa erzählen, du hattest Erfolg mit deiner Mission im Orient?“
„Wenn du mit Erfolg meinst, ob ich die Wahrheit herausgefunden habe, dann lautet meine Antwort: Ja.“
Gareth horchte auf und beugte sich vor. „War es wirklich so schlimm?“
„Weitaus schlimmer, als die Debatten im Parlament vermuten lassen. Falls die Lage sich nicht verändert hat, brennen britische Einheiten immer noch ganze Dörfer im Pearl River Delta nieder und töten die Bewohner, nur weil der Kaiser England die Einfuhr von Opium aus Indien in sein Reich verweigert. Dies ist keine Sternstunde in der Geschichte Großbritanniens. Es wird Debatten im Oberhaus geben, wie diese heikle Lage zu klären ist. Ich habe Aufzeichnungen bei mir.“
„Hattest du Schwierigkeiten, diese Aufzeichnungen zu machen?“
„Eigentlich nicht.“ Ned lächelte dünn. „Nachdem es mir gelungen war, mich nicht länger von den Offizieren gängeln zu lassen.“
Harcroft wedelte ungeduldig mit der Hand. „Darüber können wir später ausführlich sprechen. Zunächst brauchen wir einen Plan. Als Erstes müssen wir …“
„Sollten wir damit nicht warten, bis Kate wieder da ist“, fiel Ned ihm verwundert ins Wort. Er hatte Harcroft nie für unhöflich gehalten, nun aber erschien ihm seine herrische Art, sich Kates Gastfreundschaft aufzudrängen und ein
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