Im Visier des Verlangens
Dienstboten ein paar Gläser Marmelade zu bringen. Bei meinem Besuch erfuhr ich, dass ihr Ehemann schuld an diesem Unfall war. Und es war nicht das erste Mal, dass er sie verprügelt hatte.“
Während ihres Berichts kam Kate richtig in Fahrt und gestikulierte lebhaft mit den Händen.
„Beim ersten Mal war alles ganz leicht“, fuhr sie fort. „Ich buchte eine Schiffspassage für sie über den Atlantik und ließ einen Bankwechsel auf ihren Namen auf dem neuen Kontinent deponieren. Heute ist sie Inhaberin einer florierenden Bäckerei in einer kleinen Stadt in Amerika … Boston, glaube ich.“
Die Gewalt, die dieser bedauernswerten Frau angetan worden war, war ihr so sehr zu Herzen gegangen, dass sie die Initiative ergriffen hatte, um sie zu retten. Dieses Feuer in ihren Augen leuchtete jedoch aus einem anderen Grund, vermutete Ned. Was hielt Kate noch vor ihm verborgen? Eine beklemmende Enge schnürte ihm die Brust zu. In seinen verblüfften Respekt mischte sich mehr als nur ein Stich Eifersucht. Wie hatte sie es bereits als Sechzehnjährige geschafft, eine Frau vor den Misshandlungen ihres brutalen Ehemanns zu retten, ohne dass ihr Vater davon erfuhr?
Und was hatte Ned in diesem Alter getan?
Er hatte hohe Summen bei Pferderennen gesetzt und die Nachwirkungen seiner ersten Zechgelage auskuriert.
„Louisa“, erklärte Kate nicht ohne Stolz, „ist die siebte Frau, die ich überzeugen konnte, ihren Ehemann zu verlassen. Allerdings die erste Gemahlin eines Lords. Und sie war mein bisher schwierigster Fall.“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Du … du wirst doch nicht von mir verlangen, dass ich damit aufhöre, oder?“
Ned schüttelte den Kopf.
„Ich liebe meinen Vater“, erklärte sie, „und er vergöttert mich. Aber für ihn bin ich seine kleine Prinzessin, die vor allen Widrigkeiten des Lebens beschützt werden muss. Meine Mutter hat mich dazu erzogen, eine perfekte Gastgeberin zu sein. Ich liebe meine Eltern, war allerdings froh, in den letzten Jahren in Berkswift leben zu können. In Kent hätten sie mir strikt untersagt, mich diesen Aufgaben zu widmen.“
In ihrer Stimme schwang ein wehmütiger Unterton, und Ned spürte erneut, wie einsam sie war. Sie hatte sich von ihrer Familie zurückgezogen, hatte keinen Menschen gehabt, dem sie sich anvertrauen konnte. „Jetzt wird vieles leichter“, fuhr sie fort und schmiegte sich an ihn, „da ich mit deiner Unterstützung rechnen kann. Weißt du, welche List ich mir ausdenken musste, um an die nötigen Geldmittel zu gelangen?“
Erneut schüttelte Ned den Kopf.
„Durch fingierte Rechnungen. Ich habe eine stillschweigende Übereinkunft mit einigen Modeateliers in London getroffen. Ich bestelle extravagante Garderobe, man stellt mir eine Rechnung über die doppelte Höhe der Kaufsumme aus und übergibt mir die Hälfte des Betrags in bar. Ich bin im ton berühmt für meinen Kaufrausch.“
Harcroft hatte darüber eine abfällige Bemerkung gemacht. Und wenn Ned es sich überlegte, hatte er seine Frau nie zweimal im gleichen Kleid gesehen. „Du meine Güte, das muss ja schrecklich anstrengend für dich gewesen sein“, erklärte er trocken.
„Wie du dir denken kannst. Nach all den Jahren der Heimlichkeiten ist es mir eine unendlich große Erleichterung, darüber reden zu dürfen.“
Sie vertraute ihm. Und genau das war sein Wunsch, hatte er ihr doch versprochen, alles wiedergutzumachen.
Aber warum hatte er dann das Gefühl, als liege ihm ein Eisklumpen im Magen?
Sie vertraut mir nur, weil sie die Wahrheit über mich nicht kennt.
Ned wollte aus dem Bett springen und die Flucht ergreifen. Er hatte ihr Vertrauen gewonnen, genau, wie er es sich gewünscht hatte. Und nun wollte er alles zurücknehmen.
„Was tun wir nun mit Louisa?“, fragte sie schläfrig. Und das kleine Wörtchen wir versetzte Ned wieder einen Stich.
Diese Zuversicht in ihrer Stimme, dieses Vertrauen, nur weil er ihr etwas vorgespielt hatte. Er hatte ihr vorgegaukelt, stark und tüchtig zu sein, ein Mann mit Durchsetzungskraft, der einen wütenden Gaul und einen tobsüchtigen Ehemann zur Raison brachte. Sie glaubte an ihn, und das Gewicht ihres Glaubens lastete schwer auf Neds Schultern.
Sie kannte die Wahrheit nicht. Sie wusste nicht, dass ihm ein kalter Winter bevorstand, dass sie ihr Vertrauen in einen Mann gesetzt hatte, der wieder jämmerlich versagen und im Staub kriechen würde.
Aber er war nicht im Staub gekrochen, als die Finsternis das letzte Mal über ihn
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