Im Visier des Verlangens
hereingebrochen war. In den letzten Jahren hatte er Menschen getäuscht und sie glauben lassen, er sei willensstark und tatkräftig. Man hatte ihm tatsächlich geglaubt, und solange er den Mund hielt, solange er jeden Morgen aufstand und einen Fuß vor den anderen setzte, musste niemand wissen, wie es tatsächlich in ihm aussah.
Am allerwenigsten Kate.
„Morgen besuchen wir Louisa. Alles wird sich zum Guten wenden, du wirst sehen.“ Es war ein Versprechen, das er sich selbst gab. Er wollte Kate beschützen, wollte sie nie wieder enttäuschen. Es war nicht nötig, dass sie je von seinen inneren Qualen erfuhr.
Kate sah keinerlei Ironie in seinem Versprechen, nahm alles, was er sagte, ernst. Und ihre Zuversicht sollte ihm tröstend das Herz wärmen, aber seine Hände wurden kalt und klamm.
Nein. Er lehnte sich dagegen auf. Mit ihrem gutgläubigen Vertrauen konnte ihm der nächste Winter nichts anhaben. Er wollte es einfach nicht zulassen.
17. KAPITEL
S o sehr Kate wünschte, ihre Zeit ausschließlich mit Ned verbringen zu können, warteten doch dringende Aufgaben auf sie. Es musste etwas mit Louisa geschehen. Jetzt, da der Earl wusste, dass Kate mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hatte, war die Rettungsaktion tausendfach schwieriger geworden.
Nachdem Ned sich vergewissert hatte, dass Harcroft nicht in der Nähe auf der Lauer lag, machte das Paar sich auf den Weg. Ned half seiner Frau, beim Überqueren des Baches über die glitschigen Steine zu springen. Sie gingen querfeldein, um nicht von einem zufälligen Wanderer gesehen zu werden, bis sie die Schäferhütte erreichten.
Louisa bat sie herein, und Kate erklärte die Situation. „Dein Mann hat den Verdacht, dass ich etwas mit deinem Verschwinden zu tun habe.“
„Was willst du damit andeuten?“ Louisa schüttelte heftig den Kopf. „Ich gehe nicht zu ihm zurück. Und ich lasse nicht zu, dass er mir meinen Sohn wegnimmt.“
„Nein, natürlich nicht“, versuchte Ned sie zu beschwichtigen.
„Aber die Situation hat sich gefährlich zugespitzt“, ergriff Kate erneut das Wort. „Hier kannst du nicht bleiben. Entweder du entscheidest dich, England den Rücken zu kehren, oder du stellst dich deinem Mann und kämpfst um deine Freiheit und die deines Sohnes.“
Louisa sah Kate ratlos an, ehe sie wieder den Kopf schüttelte. „Wie denn? Ich gehöre ihm. Ich habe ihn geheiratet. Er verfügt über mein Vermögen. Und außerdem …“, sie seufzte tief. „Wenn er mich nur ansieht, krieche ich wieder zu ihm zurück. Das wäre nicht das erste Mal“, erklärte sie bitter.
Kate legte der Freundin die Hände auf die Schultern. „Ich weiß, es ist sehr schwer für dich. Aber du musst etwas unternehmen.“
„Ich kann ihn erschießen“, erklärte Louisa tapfer. „Ist das nicht lächerlich?“ Ihre Stimme bebte. „Ich kann mir nicht vorstellen, ihm ins Gesicht zu sehen und Nein zu sagen, aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, ihn zu töten.“ Ihre Stimme klang tonlos. „Ich könnte ihn eiskalt erschießen.“
„Vielleicht finden wir eine Lösung, die dich nicht an den Galgen bringt“, schlug Kate trocken vor.
Ned warf ihr einen Seitenblick zu. Das Schwierigste an Kates Rettungsaktionen war stets gewesen, die Frauen davon zu überzeugen, ihre gewalttätigen Männer endgültig zu verlassen. In Kates Augen verdiente kein Mann, der seine Frau verprügelte, Nachsicht. Deshalb hatte sie nie begriffen, warum den Frauen dieser Schritt so schwerfiel. Sie versuchte, sich von Louisas Zögern nicht irritieren zu lassen.
Lady Harcroft schlang die Arme um sich und sackte auf ihrem Stuhl in sich zusammen. „Du hast leicht reden. Aber welche Wahl bleibt mir denn? Wenn ich an die Zukunft denke, wird mir angst und bang. Ich stehe das nicht durch.“
Kate begann, die Geduld zu verlieren. „Aber du musst eine Entscheidung treffen.“
Louisa legte die Finger an ihre Schläfen und schwieg.
„Soll ich euch eine Geschichte erzählen?“ Neds muntere Stimme verstärkte nur Kates Ungeduld. „Habe ich je davon berichtet, was ich mit Captain Adams in China erlebt habe?“
Louisa hob den Blick, und Kate presste die Lippen aufeinander. Es galt, einen Plan zu fassen, eine Lösung zu finden. Die Zeit ist zu knapp bemessen, um Geschichten zu erzählen, dachte Kate unwillig.
Aber Louisa richtete sich auf und schenkte ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. „Nein“, sagte sie leise. „Ich weiß so gut wie nichts von Ihrer langen Reise. Wie war denn China? Sehr fremd und
Weitere Kostenlose Bücher