Im Westen Nichts Neues
Säulen der umlaufenden Kreuzgänge ist das kühle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde, die von den Frauen kommen.
Das Bild ist bestürzend nahe, es rührt mich an, ehe es unter dem Aufflammen der nächsten Leuchtkugel zergeht. Ich fasse mein Gewehr und rücke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf einer Seite standen, hießen sie die Pappelallee. Schon als Kinder hatten wir eine Vorliebe für sie, unerklärlich zogen sie uns an, ganze Tage verbrachten wir bei ihnen und hörten ihrem leisen Rauschen zu. Wir saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die Füße in die hellen, eiligen Wellen hängen. Der reine Duft des Wassers und die Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten sie sehr, und das Bild dieser Tage läßt mir jetzt noch das Herz klopfen, ehe es wieder geht.
Es ist seltsam, daß alle Erinnerungen, die kommen, zwei Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Stärkste an ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Maße in Wahrheit waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen mit Blicken und Gebärden, wortlos und schweigend, – und ihr Schweigen ist das Erschütternde, das mich zwingt, meinen Ärmel anzufassen und mein Gewehr, um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflösung und Lockung, in der mein Körper sich ausbreiten und sanft zerfließen möchte zu den stillen Mächten hinter den Dingen.
Sie sind so still, weil das für uns so unbegreiflich ist. An der Front gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, daß wir nie außerhalb von ihr sind. Auch in den zurückgelegenen Depots und Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedämpfte Poltern des Feuers stets in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, daß wir es nicht mehr hören. In diesen Tagen aber war es unerträglich.
Die Stille ist die Ursache dafür, daß die Bilder des Früher nicht so sehr Wünsche erwecken als Trauer – eine ungeheure, fassungslose Schwermut. Sie waren – aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie sind eine andere Welt, die für uns vorüber ist. Auf den Kasernenhöfen riefen sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns verbunden, wir gehörten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und aus uns kam.
Hier in den Gräben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht mehr aus uns auf; – wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist eine Erscheinung, ein rätselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir fürchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist stark – aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
Und selbst wenn man sie uns wiedergäbe, diese Landschaft unserer Jugend, wir würden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und geheimen Kräfte, die von ihr zu uns gingen, können nicht wiedererstehen. Wir würden in ihr sein und in ihr umgehen; wir würden uns erinnern und sie lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es wäre das gleiche, wie wenn wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind seine Züge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen waren, gewinnen ein trügerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es nicht selbst.
Wir würden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht die Erkenntnis ihrer Schönheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen, sondern das Gemeinsame, dieses Gleichfühlen einer Brüderschaft mit den Dingen und Vorfällen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt unserer Eltern immer etwas unverständlich machte; – denn wir waren irgendwie immer zärtlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste mündete uns einmal immer den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das Vorrecht unserer Jugend – wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes,
Weitere Kostenlose Bücher