Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
ist, sie spürt nur das Ende.
    Die Menschen um sie herum lachen weiter, und es klingt, als würden sie nie wieder aufhören.
    Sie schließt die Augen und öffnet sie wieder.
    Der Bildschirm flimmert.
    Sie spult zurück zu der Stelle, an der es endet und kehrt in Gedanken zurück zu dem Tag, an dem es begann.
3
    Ari Pekka Sorajärvi blieb von einer Anzeige verschont. Als Kimmo Joentaa sie ein weiteres Mal über den formalen Ablauf aufzuklären versuchte, stand die Frau auf, nicht hastig, sondern eher gedankenverloren, und verabschiedete sich. Sie ging, langsam, aber bestimmt, und schloss die Tür nahezu lautlos.
    Joentaa blieb noch eine Weile sitzen und betrachtete das leere Formular, das auf dem Bildschirm flimmerte. Name, Anschrift, Geburtsdatum.
    Dann erhob er sich, ging durch den schwach beleuchteten Flur hinunter und durch das Schneetreiben zu seinem Wagen.
    Er fuhr nach Lenganiemi. Während die Fähre übersetzte, stand er im eiskalten Wind an der Reling. Er fühlte eine vage Erleichterung darüber, dass der Fährführer missmutig wie immer in seinem Kabäuschen saß, trotz der Lichterkette, die am Fenster klebte.
    Er fuhr den Waldweg entlang, der nicht zu enden schien, bis plötzlich wie aus dem Nichts die Kirche in den Himmel ragte. Das Meer rauschte leise, und Schatten glitten vorüber, als er den Friedhof betrat. Joentaa hörte sie gedämpft miteinander sprechen. Die Köpfe gesenkt, konzentriert auf die Gräber ihrer Angehörigen, die im Dunkel lagen, aber jeder wusste, wo er suchen musste. Zwei der Schatten murmelten einen Gruß, und Joentaa grüßte zurück, als ihre Wege sich kreuzten.
    Er stand eine Weile vor Sannas Grab, ohne etwas Bestimmtes zu denken. Dann nahm er das Kerzenlicht aus seinem Rucksack, zündete es an und stellte es behutsam ins Zentrum der Grabfläche. Er starrte auf das Licht, bis es vor seinen Augen zu verschwimmen begann, dann riss er sich los und ging. Aus der Kirche drangen Gesang und die monotonen, lang gezogenen Akkorde der Orgel.
    Der Gesichtsausdruck des Fährführers blieb während der Rückfahrt unverändert, und Kimmo Joentaa fuhr nach Hause.
4
    Am Abend schreibt sie Weihnachtskarten. Sie hat ein Foto ausgedruckt, das ihr gefällt. Es zeigt Ilmari und Veikko vor der winterlichen Kulisse von Stockholm. Dort haben sie vergangenes Jahr mit Ilmaris Schwester Weihnachten gefeiert. Zwölf Mal hat sie das Foto ausgedruckt. Auf die Rückseite schreibt sie zwölf Mal: Frohes Fest und liebe Grüße.
    Dann öffnet sie die Tür und tritt ins Treppenhaus. Sie geht von Tür zu Tür und wirft durch jeden Briefschlitz eine der Karten.
    Sie kehrt in ihre Wohnung zurück, zündet die Kerzen am Baum an und betrachtet das Standbild auf dem Monitor des Fernsehers. Ein Mann, der lacht. Es ist kein unsympathisches, kein beängstigendes, sondern ein glückliches Lachen. Ein glückliches, liebenswertes Lachen. Sie versteht dieses Lachen nicht. Seitdem sie es gesehen hat, sieht sie eine Abfolge von Bildern, die eine Reihenfolge, aber keinen Sinn ergeben, und während die Bilder ablaufen, steht das Leben still.
    Sie hört ein Geräusch und wendet den Blick ab. Unter der Tür auf dem Boden liegt ein weißer Briefumschlag. Ein Nachbar erwidert ihren Weihnachtsgruß. Sie geht zur Tür, hebt den Umschlag auf und öffnet ihn. Auf der Karte ist ein Engel abgebildet. Marlies und Tuomo, das junge Paar aus dem ersten Stock. Sie schreiben: Auch Dir schöne Feiertage und alles Gute. Von Herzen. Sie steht im Flur und lächelt und denkt über Worte nach. Wie sie sich verändern und Gleiches schaffen. Zwei Namen in der Anrede fehlen, zwei Worte am Ende das Satzes kommen hinzu. Von Herzen . Ihr Blick ruht auf den Worten.
    Später geht sie zurück ins Wohnzimmer. Sie zerdrückt den Engel in ihrer Faust und betrachtet das Gesicht auf dem Bildschirm und das Lachen, das sie beseitigen muss, um fühlen zu können.
5
    Pasi und Liisa Laaksonen, seine Nachbarn, winkten ihm zu und riefen einen Weihnachtsgruß, als Kimmo Joentaa aus dem Wagen stieg. Jeder der beiden hielt eine Hand von Marja, ihrer Enkeltochter, die laut lachte, weil sie von Paasi und Liisa durch die Luft gewirbelt wurde.
    Kimmo Joentaa erwiderte den Gruß und beeilte sich, ins Haus zu kommen. Er stand eine Weile im Flur in der Stille und wartete, bis der Schnee in Wasser überging und in seinen Nacken lief. Dann zog er die Jacke, die Mütze und den Schal aus und ging von Raum zu Raum, um alle Lichter im Haus anzuschalten.
    Später stand er im Wohnzimmer,

Weitere Kostenlose Bücher