Marschfeuer - Kriminalroman
PROLOG
Sein Herz begann
unkontrolliert zu rasen, als er die schäbige Kunststofftür vorsichtig aufzog.
Das leichte Quietschen der rostigen Scharniere multiplizierte sich in seinem
Kopf zu Sägenkreischen, und er verharrte einen Moment auf der Schwelle. Er
lauschte in die Dunkelheit der kleinen Laube.
Er konnte ihn atmen
hören. Schwer, aber gleichmäßig und ungestört. Erleichtert zog er die Tür– mit
einem erneuten Quietschen– hinter sich zu. Dieses Mal verstummten die
Atemgeräusche kurz, bevor sie Sekunden später wieder einsetzten.
Er wartete fünf Minuten.
Unbewegt stand er vor der Tür und ließ seine Augen sich an die Dunkelheit
gewöhnen. Die Umrisse der spärlichen Einrichtung verloren ihre Schwärze, wurden
zu anthrazitfarbenen Schatten. Die Kälte im Inneren der Hütte unterschied sich
kaum von der Temperatur außerhalb der hölzernen Bretterwände. Anscheinend war
der gasbetriebene Ofen seit Langem ausgestellt. Er schaltete die Mag-Lite an
und machte zwei leise Schritte nach vorn. Der Lichtkegel fiel auf das schmale
Bettgestell. Der Alte trotzte der kalten Aprilnacht mit einer gesteppten Decke,
unter der sein Körper kaum auszumachen war. Zusätzlich schien er sich innerlich
gewärmt zu haben. Der Alkoholdunst überlagerte den Muffgeruch der alten Baracke
und ihres Inhaltes.
Seine behandschuhten
Finger begannen zu zittern. Der Schweiß unter seiner schwarzen Wollmütze
verursachte auf seiner Haut einen unerträglichen Juckreiz, aber er ließ nicht
zu, dass seine Hände dem ein Ende bereiteten. Seine Hände hatten eine andere
Aufgabe.
Er knipste die
Taschenlampe wieder aus und wartete. So lange, bis sich seine Augen wieder an
die Dunkelheit gewöhnt hatten, bis die Umrisse wieder an Klarheit gewannen. Er
zog den kurzen Strick aus der Jackentasche und wickelte die beiden Enden fest
um seine Handflächen. Er zitterte immer noch, aber er zögerte nicht. In
Sekundenschnelle fuhr er mit dem Strick unter dem Kopf des Alten entlang bis zu
dessen Hals, überkreuzte seine Unterarme und zog. Seine Armmuskulatur musste
alle Kraft aufbieten, denn der im Schlaf Überraschte entwickelte ebenfalls
Kräfte, mit denen er nicht gerechnet hatte. Doch der Widerstand des Alten war
nur von kurzer Dauer.
Als der Körper vor ihm
erschlaffte, zog er seine Hände langsam zurück. Wie von Sinnen fuhr er mit
seinen Fingern unter die Wollmütze und scheuerte über seine juckende Haut.
Er war erlöst.
Aber der Anflug von
Euphorie hielt nur Sekunden. Dies war erst der Anfang.
Hastig zog er die kleine
Mag-Lite wieder aus seiner Jackentasche und drehte sie an. Mit einem Ruck zog
er die Bettdecke zur Seite. Ein fleckiger, durchlöcherter Seemannstroyer über
einer abgewetzten Cordhose kam zum Vorschein. Er ließ den Lichtkreis über das
Gesicht des Alten gleiten. Leere Augen stierten ins Nichts. Der von grauen
Bartstoppeln umrahmte, leicht geöffnete Mund zeigte ein lückenhaftes Gebiss. Im
Oberkiefer fehlte ein Schneide-, im Unterkiefer ein Eckzahn. Die Hände waren
schwielig, und die ungepflegten Fingernägel trugen einen gleichmäßigen
schwarzen Rand. Seltsam fehl am Platz wirkte der breite silberne Ring am
Ringfinger der linken Hand.
Kurz streifte der
Lichtkegel die wenigen Einrichtungsgegenstände. Ein kleines schäbiges
Nussbaumbüfett, daneben, auf dem verdreckten fadenscheinigen Teppich, eine halb
leere Flasche Oldesloer Korn. Ein zusammenklappbarer, vollgemüllter
Campingtisch, zwei Hocker, ein Holzstuhl. Ein Gasofen. Ein Gaskocher. Wenig
Geschirr. Ein kleines Bord mit Zwieback, Marmelade und auf einem Teller ein
Stück Käse. In der Ecke zwei Eimer Wasser neben einer Kiste voll schrumpeliger
Äpfel. Ein dritter Eimer neben dem Bett zeigte durch deutliche Spuren, wozu er
diente.
Angeekelt wandte er den
Blick ab. Hatte der Alte seine Scheiße draußen vergraben?
Er atmete tief durch. Es
spielte keine Rolle. Das Feuer würde den Dreck heiß und gierig wegbrennen.
Brennen. Brennen.
Wenn es nur erst
brannte!
EINS
Lyn hob ihren Kopf von
Hendriks Brust und hauchte einen Kuss auf seine Lippen.
»Ich muss …«, flüsterte
sie und schob seufzend die Bettdecke von ihrem Körper.
»Gar nichts musst du«,
erwiderte Hendrik mit einem Lächeln in der Stimme und griff nach ihr, als sie
aufstand. Er zog sie zurück ins Bett, rollte sich auf sie und hielt ihre Hände
mit seiner Linken über ihrem Kopf zusammen. Als
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