Im Winter der Löwen
Sofa stand.
»Ich möchte Sie etwas fragen, etwas Wichtiges«, sagte er und hatte gegen jede Logik den Eindruck, bereits ein wenig zu lallen. »Hat dieser … hat dieser Sorajärvi … Ihnen … wehgetan?«
Die Frau lachte wieder, dieses Mal aber nur kurz: »So wie Sie müssen Rentner im 19. Jahrhundert gesprochen haben.«
»Entschuldigung …«
»Hören Sie endlich auf, sich zu entschuldigen, verdammt!«
»Was ich sagen will … ich finde, dass Sie den Mann anzeigen sollten, was Sie ja auch vorhatten. Und ich möchte Sie besser verstehen können, ich verstehe Sie einfach noch nicht.«
»Ari Pekka Sorajärvi hat mich ein wenig härter angefasst als vereinbart«, sagte sie. »Im Gegenzug habe ich ihm die Nase gebrochen. Verstanden?«
Joentaa dachte kurz darüber nach. »Gut«, sagte er dann, und die Frau begann wieder zu lachen.
»Gut, genau.«
»Entschuldigung, ich wollte damit sagen, dass ich die Situation jetzt vielleicht schon ein wenig besser verstehe.«
»Wenn Sie sich noch ein Mal grundlos entschuldigen, breche ich heute noch eine Nase.«
»Ich kann Ihnen nur helfen, wenn ich begreife, was passiert ist«, sagte Joentaa.
Die Frau sah ihn lange an. »Wer sagt, dass Sie mir helfen sollen?«
»Ich dachte …«
»Sie sind ein Spinner und wissen es gar nicht«, sagte sie.
»Ich denke schon, dass ich …«
»Irgendwas stimmt mit Ihnen nicht«, sagte sie.
Joentaa wartete.
»Irgendwas stimmt mit Ihnen ganz und gar nicht«, sagte die Frau.
Joentaa wartete.
»Irgendwas stimmt nicht, und ich habe große Lust, herauszufinden, was das ist«, sagte sie.
Dann stand sie auf und umarmte ihn. Der alte Sessel quietschte. Er spürte ihre Haut an seiner Wange, ihre Zunge in seinem Mund, und ein Schrei füllte sein Hirn aus.
6
Kimmo Joentaa lag wach. Hinter den Fenstern verschmolzen der Schnee und die Nacht. Er richtete sich auf, vorsichtig, um die Frau, die neben ihm lag, nicht zu wecken.
Er sah einige Minuten auf sie hinab.
Hörte sie leise und regelmäßig atmen.
Dann ließ er den Kopf wieder auf das Sofakissen sinken und spürte, wie die Frau, deren Namen er nicht kannte, ihre Hand in seinen Arm krallte. Sie stöhnte leise, wie unter Schmerzen. Vermutlich träumte sie. Er dachte darüber nach, ob er sie wecken und von dem Traum befreien sollte, aber sie kam nach einer Weile zur Ruhe, atmete wieder regelmäßig, und Joentaa schloss die Augen und dachte zum ersten Mal seit Langem an die letzte Nacht im Krankenhaus.
An die letzten Stunden, die in letzte Minuten übergegangen waren und in letzte Sekunden. Auch Sanna hatte geschlafen. Auch Sanna hatte ruhig und regelmäßig geatmet. Ruhig und regelmäßig und kaum merklich. Dann hatte der Atem ausgesetzt.
Er hatte darauf gewartet. Hatte, gemeinsam mit Sanna, auf diesen Moment gewartet, weil er gewusst hatte, dass der Moment der wichtigste in seinem Leben sein würde. Der Moment, der nicht endete.
Als er das Klopfen an der Tür hörte, glaubte er zunächst, sich zu irren. Als sich das Klopfen wiederholte, ein wenig lauter, drängender, richtete er sich auf und sah auf die grün leuchtenden Ziffern auf dem DVD-Gerät. Bald zwei Uhr. Das konnte nicht Pasi Laaksonen aus dem Nachbarhaus sein. Und nicht seine Mutter, weil die Züge aus Kitee nicht mitten in der Nacht ankamen. Und nicht die Frau, die Ari Pekka Sorajärvi die Nase gebrochen hatte, denn sie lag bereits neben ihm.
Er hörte wieder das Klopfen, ein wenig leiser, zaghafter. Er stand auf und zog sich T-Shirt und Hose an. Er nahm die Sofadecke, die halb auf dem Boden lag, und deckte die Frau zu, die fest zu schlafen schien.
Dann ging er auf schwachen Beinen zur Tür. Sein Rücken schmerzte. Er öffnete und spürte die klare Kälte auf der Haut. Niemand war da, aber unter dem in Weiß gehüllten Apfelbaum stand ein Mann, der gerade in seinen Wagen steigen wollte.
»Hallo?«, sagte Joentaa.
Der Mann hielt inne und schien kurz zu zögern. »Kimmo. Entschuldige. Ich dachte … ich habe nicht klingeln wollen, nur geklopft, weil ich dachte, dass du vielleicht schläfst.«
Der Mann kam auf ihn zu. Es war … der Weihnachtsmann.
»Tuomas …«, sagte Joentaa.
»Ich … will nicht stören.«
Tuomas Heinonen. Er konnte sich nicht erinnern, dass Tuomas Heinonen jemals bei ihm gewesen war. Tuomas Heinonen im Kostüm des Weihnachtsmanns.
»Was … komm doch rein«, sagte Joentaa.
»Ja … danke.«
Tuomas Heinonen stand gekrümmt und verfroren im Flur und schien nach Worten zu suchen.
»Magst du … etwas
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