Im Zauber des Highlanders
geliefert. Hat ihn außer Ihnen noch jemand gesehen?«
Jessi überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube nicht. Die Männer vom Auslieferungsdienst haben die Kiste geöffnet, aber ansonsten war, abgesehen von mir, niemand in diesem Büro. Warum?«
Er schaute sich um. »Und seither war das Reinigungspersonal nicht hier? Niemand außer Ihnen hat einen Schlüssel zu diesem Büro?«
Jessi runzelte verwirrt die Stirn. Was sollten diese Fragen? Und allmählich wurde sie ärgerlich, weil er ihre nicht beantwortete. »Nein. Die Putzfrau kommt immer am Mittwoch, und ich habe auch nur einen Schlüssel, weil ich Professor Keenes Assistentin bin.«
»Ich verstehe.« Er trat noch einen Schritt vor.
Und in diesem Augenblick fühlte Jessi es.
Die Bedrohung, die von ihm ausging. Es war ihr nicht sofort aufgefallen, weil sie sein gutes Aussehen entwaffnet hatte, zudem waren da ihre Neugier und die Arbeitsüberlastung. Aber jetzt spürte sie, dass vor ihr ein Wolf im Schafspelz stand. Hinter der scheinbar höflichen Fassade und dem feinen Anzug steckte etwas Kaltes, Gefährliches. Und es richtete sich allein auf sie.
Wieso? Das machte keinen Sinn!
Und plötzlich drängte das winzige Detail, das bereits die ganze Zeit an ihrem Unterbewusstsein genagt hatte, an die Oberfläche: Als sie vorhin die Tür geöffnet hatte, war sie unverschlossen gewesen! Dieser Mensch musste schon im Büro gewesen sein und sich hinter der Tür versteckt haben, als sie hereingekommen war.
Sorg dafür, dass er weiterredet, sagte sie sich und kämpfte gegen die aufkommende Panik an. Sie holte tief Luft. Adrenalin strömte durch ihre Adern, beschleunigte ihren Herzschlag und brachte die Hände und Beine zum Zittern. Sie konzentrierte sich darauf, nicht preiszugeben, dass sie - zu spät - die Gefahr erkannt hatte. Das Überraschungsmoment könnte ihr einziger Vorteil sein. Irgendwo in diesem Büro war etwas, was sie als Waffe einsetzen konnte, etwas Bedrohlicheres als ein Buch. Sie musste es nur in die Finger kriegen, bevor er begriff, was sie vorhatte. Sie spähte verstohlen nach rechts.
Ja\ Dort auf einem Tisch lag, wie sie vermutet hatte, einer von Professor Keenes Dolchen. Obschon eine Reproduktion und aus Stahl, nicht aus mit Edelsteinen besetztem Gold gefertigt, war die Klinge ebenso tödlich wie die des Originals.
»Wie alt ist dieser Spiegel eigentlich?«, fragte sie und tat ihr Bestes, um das staunende Dummchen zu spielen.
Er bewegte sich wieder. Geschmeidig wie ein Tier. Noch ein paar Schritte, und er war am Schreibtisch vorbei. Jessi rückte etwas nach rechts. Es schien, als würde er abwägen, ob er ihr eine Antwort geben sollte oder nicht, dann zuckte er mit den Schultern. »Sie würden ihn vermutlich in die frühe Steinzeit einordnen.«
Jessi sog scharf die Luft ein, und für den Bruchteil einer Sekunde fiel die Angst von ihr ab. Die frühe Steinzeit? Machte er Witze?
Moment - natürlich nahm er sie auf den Arm. Frühe Steinzeit - das war ganz und gar unmöglich. Die ersten Schriftzeichen, Keilschrift oder Hieroglyphen, waren überhaupt erst Mitte oder Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus entstanden! Und diese Gravuren auf dem Rahmen waren eine Art Schrift.
»Haha. So dämlich bin ich auch wieder nicht.« Na ja, heute bin ich schon ein bisschen begriffsstutzig, und zwar an allen Fronten, räumte sie im Stillen ein, aber normalerweise war sie ziemlich auf Draht und benahm sich nicht wie eine Idiotin. »Dann wäre er ja mehr als zehntausend Jahre vor Christi entstanden«, spottete sie, während sie sich dem Objekt ihrer Begierde noch ein paar Zentimeter näherte. Merkte er, was sie im Schilde führte? Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken.
»Ja, das wäre in der Tat so. Sogar noch erheblich früher.« Er machte noch einen Schritt nach vorn.
Sie überlegte, ob sie schreien sollte, aber sie war fast sicher, dass so spät am Abend kein Mensch mehr im Südflügel war. Sie hielt es für klüger, ihre Energien für die Selbstverteidigung aufzusparen. »Okay, nehmen wir mal an, Sie hätten Recht«, sagte sie und rückte immer näher und näher Richtung Dolch. Nur noch ein kleines Stückchen. Sieh zu, dass er redet. Wagte sie einen Sprung zu dem Tisch mit dem Dolch? »Sie behaupten, der Rahmen stammt aus der frühen Steinzeit. Richtig? Aber die Gravuren wurden später vorgenommen und das Spiegelglas erst im letzten Jahrhundert eingesetzt.«
»Nein. Das ganze Stück, alles stammt aus der frühen
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