Im Zauber des Highlanders
von dem sie mittlerweile wünschte, sie hätte es niemals zu Gesicht bekommen. Zum Beispiel wollte sie von ihm erfahren, wo er diesen verdammten Spiegel überhaupt gefunden hatte. Woher er stammte.
Womöglich ist es ja gar kein echtes Stück, dachte sie, sondern eine Requisite aus einer Produktion mit Spezial-Effekten - einer Stargate-E pisode beispielsweise oder eines Science-Fiction-Films. Vielleicht barg er ja eine hochtechnische, gut kaschierte audiovisuelle Raffinesse und ein winziges Projektionssystem in sich. Dieser Gedanke machte ihr für eine gewisse Zeit Mut, bis ihr einfiel, dass all das nicht die Interaktion zwischen dem Angreifer und dem Mann im Spiegel erklärte. Aber, hey, sie versuchte ja auch nur, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und sie zu überprüfen.
Eine andere Möglichkeit: Vielleicht war der Spiegel ... na ja ... verflucht.
Bei diesem Gedanken kam sie sich absolut lächerlich vor. Er passte einfach nicht zu der wissenschaftlichen Analytikerin.
Trotzdem - besser lächerlich als verrückt wie ein Spiegelmacher.
Sie hatte gestern Abend versucht, den Professor anzurufen und seine Durchwahl benutzt, die er ihr bei einer seiner zahlreichen Nachrichten auf die Mailbox gesprochen hatte, aber er war nicht an den Apparat gegangen. Gleich am Morgen hatte sie es erneut probiert und wieder kein Glück gehabt. Wahrscheinlich hatte er noch geschlafen.
Im Grunde war sie eine Pragmatikerin. Sie wäre nicht so weit gekommen, wenn sie keinen logischen Verstand hätte oder zur Träumerei neigen würde. Für sie zählten nackte Tatsachen. Und nach reiflicher Überlegung kam sie zu dem Schluss, dass sie nicht verrückt war. Sie fühlte sich vollkommen normal - nur dieser idiotische Zwischenfall mit dem Spiegel machte ihr zu schaffen.
Vielleicht sollte ich ihn doch zertrümmern, dachte sie gereizt. Dann war dieses Problem aus der Welt. Oder?
Nicht notwendigerweise. Falls sie doch verrückt war, würde der imaginäre Sexgott womöglich in anderen Gegenständen wieder auftauchen. Das brachte sie auf einige äußerst interessante Ideen, insbesondere wenn sie daran dachte, was sie in ihrer Nachttischschublade aufbewahrte. Falls sie ihre Sinne jedoch beisammen hatte, lief sie unter Umständen Gefahr, eines der bedeutendsten Artefakte der Menschheitsgeschichte - eines, das physikalische Lehrsätze ad absurdum führte - zu zerstören.
»Sieht fast so aus, als wäre ich auf der Suche nach Fakten in eine Sackgasse geraten.« Sie stieß einen ärgerlichen Seufzer aus und suchte in ihrem Rucksack nach dem Handy. Keine neuen Nachrichten. Sie hatte gehofft, der Professor würde sie anrufen, bevor sie in die erste Vorlesung musste und den ganzen Tag beschäftigt war.
Jetzt war es zu spät. Sie schaltete das Handy aus, steckte es wieder in den Rucksack, schnappte sich den Kaffeebecher und bezahlte an der Kasse, dann eilte sie davon.
Sie hatte bis um sechzehn Uhr fünfundvierzig Unterricht, aber gleich danach würde sie zum Krankenhaus fahren.
Siebzehn Uhr zweiundfünfzig.
Der Dan-Ryan-Expressway glich während der Rushhour der Dante'schen Vorhölle.
Jessi steckte mitten im Stau. Sie stand mehr, als dass sie fuhr und hatte die letzte halbe Stunde genutzt, um etwas für ihre Hausarbeit zu tun. Dann klingelte ihr Handy.
Sie warf ihre Notizen auf den Beifahrersitz und ließ den Wagen ganze fünfzig Zentimeter weiter rollen, ehe sie den Anruf entgegennahm. Sie hoffte, dass sich der Professor endlich meldete, aber es war nur Mark Troudeau.
Ihr lag bereits die Absage, dass sie auf keinen Fall weitere Arbeiten übernehmen würde, auf der Zunge, aber Mark ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. Er teilte ihr mit, dass ihn die Campus-Polizei gerade über Professor Keenes Tod in Kenntnis gesetzt habe.
Jessi fing an zu zittern und umklammerte das Lenkrad. Ein Schluchzer drang aus ihrer Kehle.
»Und stell dir vor, Jess, er wurde ermordet «, fuhr Mark aufgeregt fort. Ihn schien das Ganze zu faszinieren, und er merkte gar nicht, dass sie weinte, obwohl sie laut schniefte. Männer konnten ja so beschränkt sein.
Am Rande nahm Jessi wahr, dass es langsam weiterging. Sie nahm den Fuß von der Bremse und wischte sich mit dem Jackenärmel übers Gesicht.
»Die Polizei hat so getan, als wäre er in irgendeine schlimme Sache verwickelt gewesen, Jess. Sie sagten, er hätte sich kürzlich eine Menge Geld aus seiner Rentenversicherung auszahlen lassen und eine hohe Hypothek auf sein Haus aufgenommen. Und das Land, das er
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