Im Zauber des Highlanders
nach dazu verdammt, sie noch einmal zu durchleben. »Den Teilen, die ich entschlüsseln konnte, entnehme ich, dass er in Wahrheit ein Mensch, keine Fabelgestalt war und dass die unterirdische Bibliothek nicht einfach vergessen, sondern absichtlich vor uns verborgen wurde. Da dachte, dass eine Schlacht oder eine Krankheit viele Menschen dahingerafft hätte und auch jene gestorben seien, die von der geheimen Kammer gewusst hatten. Doch so war es nicht. Der letzte Eintrag hier stammt nicht von Cian selbst; er warnt davor, sich der schwarzen Magie und der Dunklen Mächte zu bedienen. Wer immer diese Ermahnung formuliert hat, hat auch beschlossen, die Kammer zu versiegeln und die Räume darüber so umzubauen, dass sie für immer verborgen bleiben sollte.«
»Tatsächlich?« Drustan zog die Augenbrauen hoch.
»Ja. Wie gesagt, es wurden viele Seiten aus dem Buch gerissen, und ich weiß nicht, was Cian MacKeltar so Schreckliches verbrochen hat oder was aus ihm geworden ist. Aber dieser letzte Eintrag beweist, dass die Bibliothek seinetwegen verschlossen wurde.«
»Hmmm«, machte Drustan und trank einen Schluck von seinem Whisky. »Da fragt man sich unwillkürlich, welche Taten ein Mann vollbracht haben könnte, dass so drastische Maßnahmen ergriffen wurden; immerhin wurde den künftigen Generationen der größte Teil des Keltar-Wissens und der damit verbundenen Macht vorenthalten. Bestimmt war es keine Kleinigkeit, die uns um dieses Erbe gebracht hat.«
»Stimmt«, antwortete Dageus nachdenklich. »Das wirft einige Fragen auf.«
»Ist das zu fassen? Jemand hat diesem Typen den Hals gebrochen und ihn mausetot auf dem Campus liegen lassen.«
»Na, toll. Das hat uns gerade noch gefehlt. Mehr Verbrechen. Die Universitätsleitung wird das zum An-lass nehmen, uns die Daumenschrauben anzulegen und die Studiengebühren erneut zu erhöhen.«
Jessi schüttelte den Kopf und bahnte sich einen Weg durch die Studenten der Anfangssemester, um zur Kaffeebar zu kommen. Während sie ihre Bestellung aufgab, fragte sie sich, ob sie jemals so jung und abgestumpft gewesen war. Hoffentlich nicht.
Auf dem Campus kursierten die wildesten Gerüchte. Die Polizei hatte wenige Details bekannt gegeben, deshalb taten alle so, als wären sie gut informiert. Das Komische an der Sache war, dass Jessi wirklich mehr über den blonden, gut gekleideten Toten wusste, der gestern auf dem Campusgelände gefunden worden war, und sie war die Einzige, die nicht über die unbekannte Leiche sprach.
Und sie würde weiterhin schweigen.
Als sie gestern Abend den Fernseher eingeschaltet und aus den Lokalnachrichten von dem Mord erfahren hatte, hatte sie nur dagesessen und den Bildschirm angestarrt, selbst dann noch, als die Nachrichten längst vorbei waren. Den ganzen Tag hatte sie sich eingeredet, dass sie die Begegnung mit den beiden Männern nur geträumt hatte, und jetzt war einer von ihnen tot.
Der blonde Mann hatte keine Papiere bei sich gehabt, und die Polizei hatte einen Aufruf gestartet, dass sich jeder, der etwas über den Ermordeten wissen könnte, melden solle.
Für Jessi stellte sich die Frage: Wenn alle Welt diesen blonden Mann auch sehen konnte, hieß das dann, dass sie nicht verrückt war?
Oder bedeutete das nur, dass der blonde Mann zwar real gewesen war, sie sich aber die Erscheinung im Spiegel und alles andere nur eingebildet hatte?
Oder war sie schon so irre, dass sie sich diese Nachrichten zusammenreimte, nur weil sie in ihren kranken Phantasien versuchte, den seltsamen Illusionen Glaubwürdigkeit zu verschaffen? Müsste sie das jemandem erklären, würde sie ihre Phantasien allerdings nicht als krank, sondern als bewundernswert entschieden und beeindruckend folgerichtig bezeichnen.
Mein Gott — was für Fragen!
Sie grübelte stundenlang über die verworrenen Geschehnisse nach, bis sie sich in den frühen Morgenstunden mit einem Vorsatz einigermaßen beruhigen konnte: Sie würde ihre gegenwärtige Situation genauso untersuchen wie einen archäologischen Fund und die gewissenhaften Methoden einer Wissenschaftlerin anwenden. Sie wollte so viele Fakten sammeln, wie sie konnte, und erst wenn sie alles beisammenhatte, würde sie ihre Erkenntnisse Stück für Stück zu einem Bild zusammensetzen. Bis sie die Untersuchungen beendet hatte, würde sie keinen Gedanken mehr an einen möglichen Wahnsinn verschwenden.
Unerlässlich für ihre Nachforschungen war ein Gespräch mit Professor Keene. Sie musste ihm Fragen über das Artefakt stellen,
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