Im Zauber des Mondes
könnte ich mich ganz schnell ausziehen. Bitte seid nicht böse mit mir, ich kann nichts dafür.«
Er musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Ich werde dir selbst dabei behilflich sein«, sagte er abrupt. Er legte die Peitsche aufs Bett und kam auf sie zu. In dem Moment, als er nach ihr greifen wollte, vergrub sie die Schere mit einer blitzschnellen Bewegung tief in seinem Hals, dort, wo er mit der Schulter zusammentraf. Er stieß einen Schrei aus und taumelte zurück. Seine Augen wurden riesig, als er sie verwundert anstarrte. Die Schere steckte tief in seinem Hals, und die Ringe des Griffs glänzten silbern im Kerzenlicht. Blut quoll um sie herum aus der Wunde und färbte sein weißes Hemd rot. Schulter und Brust waren innerhalb weniger Sekunden blutig. Er versuchte zu sprechen, aber es kam nur ein heiseres Krächzen heraus. Unsicher hob er eine Hand und versuchte, die Schere herauszuziehen, dabei starrte er sie die ganze Zeit an. Entsetzen stieg in ihr auf wie ein dunkler Quell, und sie schlug beide Hände über den Mund, um den Schrei zurückzuhalten. Dann, als sie gerade dachte, er würde für immer so stehenbleiben, schwankte er, sank langsam auf die Knie und brach schließlich mit dem Gesicht nach unten zusammen.
Sie starrte ihn an, unfähig sich zu bewegen, dann kam plötzlich wieder Leben in sie. Sie erinnerte sich an Minna und Fromer und durchquerte den Raum, um an der Tür zu lauschen. Kein Laut war zu hören. Offensichtlich war Sir Edwards Schrei ihnen nicht ungewöhnlich vorgekommen, falls sie ihn überhaupt gehört hatten. Aber schließlich waren sie ja an Schreie aus diesem Zimmer gewöhnt.
Schnell zog sie ihr wärmstes Kleid an und griff nach dem wollenen Umhang. Auf dem Weg zum Fenster hielt sie ein und warf noch einmal einen Blick auf Sir Edward. Eine Blutlache hatte sich unter seinem Hals gebildet, sein Gesicht war grau. Die Finger einer ausgestreckten Hand zuckten. Lebte er etwa noch? Vielleicht sollte sie ja ganz sichergehen und noch einmal zustechen? Aber wenn er nicht tot war, so fehlte nicht mehr viel, und zu ihrer Überraschung stellte Caitlyn fest, daß sie nicht die Nerven dazu hatte, die Schere aus seinem Hals zu ziehen und sie ihm ins Herz zu stoßen. Rache war doch nicht so süß, wie sie geglaubt hatte.
»Möge deine Seele für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren«, sagte sie zu dem Mann zu ihren Füßen und spuckte auf ihn, bevor sie aus dem Fenster in die eisige Nacht hinauskletterte.
42
Selbst die Hölle konnte nicht schlimmer sein als Kilmainham Goal, dachte Connor, als er den Kopf an die schleimige Steinwand lehnte und das Herumirren einer Schabe über die modernde Decke beobachtete.
Ein rauher Wind pfiff durch die engen dunklen Gänge, die zu den Zellen führten. Kilmainham war so eisig kalt, wie man der Hölle nachsagte, daß sie heiß war, und bald würde er beide aus erster Hand miteinander vergleichen können. Seine Verhandlung war vor einer Woche abgeschlossen worden, und er würde morgen bei Tagesanbruch an dem Galgen gehängt werden, der eben am Rande des Phoenixparks aufgestellt wurde. Jede Hinrichtung war ein Fest für die Bevölkerung, aber wenn der berüchtigte schwarze Rebell gehängt wurde, würde das etwas ganz Besonderes sein.
Sie würden ihn an einen offenen Wagen gekettet zur Hinrichtung bringen, und die Wache hatte ihn schon darüber informiert, daß die Leute bereits entlang der Route und am Galgen ihr Lager aufschlugen, um sich die besten Plätze zu sichern. Nach der Hinrichtung würde man ihn aufschlitzen und seine Eingeweide verbrennen: eine beliebte Zugabe für die Schaulustigen. Ihm war das egal. Wenn er tot war, konnten sie mit seinem Körper machen, was sie wollten.
Zitternd zog er die Reste seines silbernen Brokatmantels enger um sich. Ihm war in den sechs Wochen seit seiner Gefangennahme nicht einmal warm gewesen, und wenn sie ihn nicht hängen würden, würde er wahrscheinlich bald an Lungenentzündung sterben. Vielen ging es so wie ihm, wenn sie nicht zuvor das Fieber erwischte.
Er wollte nicht sterben. Er war noch nicht einmal dreißig, und es gab noch so viel, was er erleben wollte. Er wollte nicht sterben, schon gar nicht auf die Art und Weise, die sie ihm zugedacht hatten. Durch eine Falltür zu stürzen, einen Strick eng um den Hals und die Hände auf den Rücken gefesselt, war nicht unbedingt das Schicksal, das er sich wünschte. Er hoffte nur, er würde es wenigstens mutig ertragen, wenn es soweit war. Bis dahin wollte er sich sowenig
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