Im Zeichen der blauen Flamme
hieb sich einen Weg frei. Da brach dicht vor ihm eine Gruppe Ainu aus dem Unterholz und seine Verfolger lieÃen von ihm ab. Tinemba, der kleine, narbige Häuptling der »Dachse«, schien trotz einer klaffenden Kopfwunde seine Krieger gut in der Hand zu haben.
»Willkommen an meinem Lagerfeuer!«, rief er mit schiefem Lächeln.
»Du sagst es!«, murmelte Susanoo.
Sie rannten weiter, durch Farnkraut und Gestrüpp. Zwei Pfeile steckten in Susanoos Harnisch. Er riss sie im Laufen heraus. Immer mehr Ainu schlossen sich ihnen an. Den Häuptlingen war es endlich gelungen, mit ihren Leuten das Schlachtfeld zu räumen. Die Ainu verloren zwar viel Zeit damit, ihre Verwundeten zu stützen und ihre Toten mitzuschleppen, aber Susanoo begann zu hoffen, dass sie den Durchbruch trotzdem schaffen würden. Auf halbem Weg zum Gipfel, dort wo die Bäume sich lichteten, lieà er seine Männer halten und sich neu formieren.
Plötzlich sah er hoch oben auf dem Hügelkamm die Silhouette eines einzelnen Tungusenreiters. Seine Brustpanzerplatten funkelten im Sonnenschein.
»Wer ist denn das?«, schrie Tinemba und wischte sich das Blut aus dem Gesicht.
»Das ist Yi-Am, der Vetter des Königs!« Susanoos Stimme bebte vor Wut. »Jetzt sitzen wir schön in der Klemme!«
Yi-Am hob seinen Kriegsfächer, gleichzeitig ertönte ein gellender, lang gezogener Schrei: Es war der Triumphschrei der Steppenreiter, der Ruf des nächtlich jagenden Wolfes. Und kaum war das Echo dieses Schreies verklungen, als eine Reiterfront wie eine riesige, schuppenglänzende Meereswoge den Hang herunterkam. Eisenbewehrte Pferdebrüste, Reiter mit glitzernden Speeren und wirbelnden Schwertern brausten auf sie zu, durchdrangen die Verteidigungslinie der Ainu. Kreischend, donnernd und tosend überschwemmte sie die Flut, fegte über sie hinweg und zerstreute sie in alle Winde.
25
S usanoo kauerte im Dickicht und lauschte mit angespannten Sinnen in die Nacht. Vor ihm lag ein kleines, mit Gras bewachsenes Tal, das sich nach Osten hinzog. Bäume mit mächtigen Stämmen wuchsen gegen die senkrechten Felsen. Er sah durch die Zweige das Flackern unzähliger Lagerfeuer. Der Wind wehte die Ausdünstung der Pferde herüber, deren Körper vom Laufen noch erhitzt waren.
Die Umstände hatten Susanoo mit nur zweihundert Reitern - dafür aber mit einigen tausend beherzten, doch gänzlich undisziplinierten Ainu - in die verhängnisvollste Schlacht seines Lebens verwickelt. Er hatte zusehen müssen, wie ein Häuptling nach dem anderen fiel und die Waldbewohner abgeschlachtet wurden. Er hatte bis zum Schluss gekämpft. Dann, um ein sinnloses Sterben zu vermeiden, hatte er seinen Männern den Befehl gegeben, sich zu zerstreuen. Er selbst hatte, in einer Felsspalte verborgen, die Nacht abgewartet. Er bebte noch vor Wut darüber, dass er überlistet und gezwungen worden war, sich wie eine Ratte in ein Loch zu verkriechen, um den Tungusen zu entgehen, die das Schlachtfeld nach ihm absuchten. Aber entgegen jeder Vernunft hoffte er immer noch, Kubichi lebend aus den Händen der Feinde befreien zu können.
Noch im Gehölz verborgen, schnallte er seinen Harnisch ab, ebenso seinen Gürtel mit dem Langschwert und versteckte alles unter einem Haufen trockener Zweige. Er behielt nur sein Kurzschwert und seine Feuersteine. Nach Art der Ainu hatte er ein Hanfseil, mit einem Greifhaken versehen, um seine Taille gewickelt.
Susanoo verlieà das Dickicht, lief rasch und gebückt den Bergkamm entlang. Er wusste, keine Nacht war so schwarz wie ein Körper, der plötzlich vor dem Hintergrund des Himmels auf einer Höhe auftaucht.
Nach einer kurzen Strecke lief er den Hügel hinab. Kurz darauf umgab ihn das hüfthohe Gras des Talgrundes. Die undeutlichen Wahrnehmungen - das Klirren von Metall, das Scharren von Hufen, das gelegentliche Aufblitzen eines Schildes - lieÃen sein Herz erregt schlagen. Durch das Gras leuchtete das Rot, Weià und Gold der Standarten und die hellen Umrisse des königlichen Zeltes waren deutlich zu erkennen. Susanoo duckte sich noch dichter an den Boden. Sollte er sich die Genugtuung verschaffen und in das Zelt eindringen, um Seiner Allerhöchsten Majestät die Kehle zu durchschneiden? Er schob den Gedanken von sich. Er durfte sein Leben jetzt nicht noch einmal aufs Spiel setzen.
Noch während er in weitem Bogen das Lager umging, brach im
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