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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Osten das Grau der Dämmerung hervor und berührte die nahen Hügel mit silbernem Licht. Plötzlich - ganz in der Nähe - wieherte ein Pferd. Susanoo zuckte zusammen. Er wusste, dass die Tungusen ihre Pferde anpflockten. Das Tier musste während der Schlacht geflohen sein und trottete auf das Lager zu, von wo es den vertrauten Geruch der anderen Pferde witterte. Susanoo erkannte blitzschnell die günstige Gelegenheit. Die helle Gestalt des Pferdes bewegte sich vor dem dunklen Hintergrund der Bäume. Es war eine Stute. Ihr Harnisch funkelte und klirrte. Sie hatte den Kopf in den Wind gedreht, die Nüstern gebläht und ließ die Ohren spielen. Susanoo legte zwei Finger an die Mundwinkel und stieß den kurzen, scharfen Pfiff aus, mit dem die Tungusen ihre Pferde anlockten. Die Stute spitzte die Ohren. Susanoo richtete sich behutsam auf und näherte sich dem Pferd. Es wieherte leise und ließ ihn herankommen. Er streckte die Hand aus, ergriff die Zügel. Die Stute beschnüffelte ihn mit sanfter Neugier, während er ihr den Harnisch abschnallte. Plötzlich legte sie die Ohren an, verdrehte die Augen und sprang zur Seite. In kurzer Entfernung brachen etwa zehn tungusische Reiter aus dem Wald hervor. Es musste ein Spähtrupp sein, der anscheinend nach entlaufenen Pferden suchte. Susanoo überlegte nicht lange: Er schwang sich auf den nackten Pferderücken, bohrte der Stute die Fersen in die Flanken und lockerte die Zügel. Ein Kreischen ertönte vom Waldrand.
    Susanoo vernahm das dumpfe, trockene Prasseln der Pfeile. Er raste dahin, dicht über den Hals der Stute gebeugt. Weil er sie von ihrem Harnisch befreit hatte, war sie schneller und leichter als die Pferde seiner Verfolger. Nach einiger Zeit gaben die Tungusen die Hetzjagd auf.
    Einige Pfeile flogen noch an ihm vorbei, dann verklangen die Schreie, das Hämmern der Hufe erlosch.
    Die Helligkeit nahm ständig zu. Der Himmel färbte sich rot wie Rubin, dann gelb wie Bernstein. Susanoo drückte sich gegen die schweißnasse Flanke der Stute. Er schrie ihr das Wolfsgeheul der Tungusen ins Ohr, den Schrei, der die Dämonen erweckt und die Streitrösser zu höchster Geschwindigkeit antreibt. Ein Zweig diente ihm als Peitsche und bei jeder Berührung - halb Streicheln, halb Drohung - steigerte sich der Galopp zu immer wilderer Hast. Die Sonne tauchte die Wälder in kupfernes Licht, als die dunkle Rauchsäule des Kunne-Iomante über den Hügeln sichtbar wurde. Die Stute zitterte am ganzen Körper. Von Susanoos Willen mitgerissen, hatte sie ihr Äußerstes gegeben; jetzt versagten ihr die Kräfte. Ich reite sie zuschanden, dachte er. Doch es trieb ihn unwiderstehlich vorwärts: Er musste sich Gewissheit verschaffen … Wieder und wieder peitschte er die Stute. Sie donnerte durch die Ebene, tauchte in den Schatten der Bäume. Immer linkischer wurde ihr Galopp, immer schwerfälliger. Bis sie schließlich stolperte, wankte und stillstand. Sie war am Ende ihrer Kraft. Susanoo fühlte es. Er sprang ab, warf einen letzten Blick auf die Stute, die mit keuchenden Flanken und gesenktem Kopf dastand - ihre Augen blickten starr und verschleiert.
    Er wandte sich ab, tauchte im Dickicht unter.
    Anfänglich rannte er blindlings vorwärts, so schnell er konnte. Er lief durch eine felsige Schlucht, bahnte sich einen Weg durch Dornen und Gestrüpp und befand sich dann auf einem grasbedeckten Abhang. Er war von Wald umsäumt, der sich bis zu einer schroffen Felswand ausdehnte. Schwefelgeruch lag in der stickigen Luft. Ein dunkler Streifen von Buschwerk deutete auf den Flusslauf hin, den er einst mit Kubichi auf einem Floß heruntergekommen war.
    Susanoo taumelte vor Erschöpfung. Seine Beinschützer waren zerfetzt, doch er fühlte schon längst nicht mehr die Schmerzen seiner zerschnittenen Füße.
    Plötzlich wurden auf dem harten Boden Spuren sichtbar. Sie führten ins Unterholz. Susanoo zwang sich zu warten, bis sein Atem ruhiger wurde. Er hatte nur sein Kurzschwert und durfte sich nicht vom Feind überraschen lassen.
    Vorsichtig ging er weiter. Die Sonne war mit einem dünnen Wolkenvlies bedeckt und auf einmal drang dumpfes Grollen aus dem Erdboden. Susanoo blieb keuchend stehen. Ein seltsamer, unnatürlicher Windstoß fegte durch die Bäume: Aus jedem Busch, jedem Strauch, jeder Felsspalte schwirrten große und kleinere Vögel auf, flatterten wild, stießen

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