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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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und befiedert. Ich ließ die kleinen Eisenspitzen über die Hand gleiten; ja, die Pfeile waren tauglich und würden ihr Ziel nicht verfehlen.
    Miwa half mir, mein Haar wie das eines Mannes zu teilen und zu flechten. Ich zog mein Mädchengewand aus und schlüpfte in eine kurze Tunika und Hosen, die unter dem Knie mit Bändern verschnürt wurden. Dazu gehörten Beinschützer, die Miwa sorgfältig befestigte. Als Miwa mir die Rüstung anlegte, merkte ich, dass meine Brust sich entwickelt hatte und ich sie nicht mehr so eng schließen konnte, wie es notwendig gewesen wäre. Mithilfe der Zähne wickelte ich die schützenden Lederbänder um mein Handgelenk. Dann ergriff ich meinen Helm, warf den Köcher mit den Pfeilen über die Schulter und ging mit dem Bogen in der Hand hinaus.
    Schon war im Innenhof eine große Menschenmenge versammelt. Männer und Frauen, Würdenträger, Höflinge, Soldaten und Diener, doch auch viele Leute aus dem Volk, die man hereingelassen hatte, bis kein Platz mehr vorhanden war. Alle warteten bedrückt. Die Priesterinnen in ihren weißen und roten Gewändern hielten sich abseits. Ihr offenes Haar glänzte im Fackelschein. Zwischen den Zinnen bildete die königliche Garde mit gezückten Schwertern einen stummen, undurchdringlichen Kreis. Ein dumpfes Geräusch von Schritten, Gemurmel, Seufzern und das Klirren vieler Waffen erfüllte den Hof. Alle blickten zum »Ort des Mittelpunktes«, der geweihte Bereich, wo sich die Königin gleich zeigen würde. Ganz allmählich verstummte der Lärm und ein Augenblick völliger Stille trat ein. Herannahende Schritte ließen mich den Kopf wenden. Mein Onkel Tsuki-Yomi erschien, gefolgt von zehn bewaffneten Offizieren. Ihre Speere waren mit kleinen Fähnchen geschmückt, auf denen das Zeichen der roten Sonne abgebildet war.
    Als Himikos älterer Bruder war Tuski-Yomi gleichzeitig Regent durch königlichen Erlass. Auch jetzt zeigte sein Gesicht einen gelassenen Ausdruck. Unter scharf geschwungenen Brauen schienen seine wachsamen Augen zugleich alles und nichts zu sehen. Seine Rüstung war ganz mit Stahlplatten belegt, sein Helm mit Gold und Kristall eingefasst. Seine weiten Leinenhosen standen steif von den Oberschenkeln ab und ließen den schlanken Oberkörper, vom Schwertgurt umschlossen, noch schmaler erscheinen. Trotz seiner Eitelkeit war er ein mutiger Mann und auf seine Art ein Weiser. Eigenwillig, wie ich war, hörte ich dennoch gerne auf seinen Rat.
    Eine Weile verharrte er unbeweglich, bevor er drei Schritte zurücktrat und das Knie beugte. Im selben Atemzug tat es ihm die Menge nach. Alle Köpfe, auch der meine, berührten gleichzeitig den Boden. Nur das Knistern des Windes auf den Strohdächern war zu hören. Dann streifte ein leichter Luftzug meinen Nacken. Eine Stimme, sanft und rau zugleich, ertönte neben mir in der Stille: »Erhebe dich, Volk von Yamatai.«
    Die Köpfe richteten sich wieder auf. Weil jetzt alle Fackeln hochgehalten wurden, weckte die lebhafte goldschimmernde Helligkeit die Hähne jenseits der Mauern. In dem Glauben, die Morgendämmerung nahe, begannen sie zu krähen. Ein Flüstern verbreitete sich durch die Menge. Das Erwachen der Hähne war ein gutes Omen: Kündigte das Erscheinen der Sonnenkönigin nicht den Sieg des Lichts über die Unheil bringende Finsternis an?
    Ich blickte auf meine Mutter. Ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden. Ihr ungeschminktes Antlitz kam mir seltsam fremd vor. Ihre großen Pupillen funkelten. Sie presste die vollen Lippen fest aufeinander, um jeden Anschein von Sanftmut zu unterdrücken. Ihr geflochtenes Haar war unter dem Helm verborgen. Die zusammengebissenen Kiefer ließen die Wangenknochen hart und spitz hervortreten. Auf ihrer Kriegsrüstung, lackiert, vergoldet und mit Seide verschnürt, spiegelte sich das Licht. Der Bogen und der prächtig verzierte Köcher mit den Pfeilen hingen über ihrer Schulter, die hochgerafften Flügelärmel ließen feingliedrige Hände frei, die fest auf dem Schwertgriff ruhten. Als sie endlich sprach, klang ihre Stimme ruhevoll und heiter und kaum lauter als sonst.
    Â»Erinnere dich, mein Volk«, sagte die Königin. »Wie viele Male im Lauf deiner Geschichte hast du die Plagen der Erde, des Himmels und der Menschen besiegt? Die Flutwellen, als die Deiche brachen. Die Dürre, als glühende Winde die

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