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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten. Besaßen sie nicht mehr die Kraft, zur Waffe zu greifen, erwiesen ihnen Familienmitglieder diesen letzten Dienst.
    Gegen das Gift war kein Mittel bekannt. Doch ein Abgesandter von Nimana, dem großen Königreich auf dem benachbarten Festland, hatte meiner Mutter einst mitgeteilt, dass die Ärzte bei Hofe ein Gegengift entwickelt hatten. Meine Mutter wollte mehr darüber wissen, doch man gab ihr zu verstehen, dass die Ärzte ihr Geheimnis für sich behalten wollten.
    Jetzt aber war die Gefahr groß, denn nie zuvor hatten die Sperbermenschen einen Angriff gegen uns gewagt. Zweifellos hatte man die Häuptlinge zum Kampf aufgehetzt, die Krieger aufgestachelt und ihnen reiche Beute versprochen.
    Â»Ich werde die Schlacht anführen«, hatte die Königin gesagt. Sie, die Unberührbare, würde ihr heiliges Gemach verlassen, sich die Haare nach Männerart binden und ein Schwert umgürten, um die Stadt gegen primitive Waldbewohner zu verteidigen. Bei diesem Gedanken lächelte ich wissend und bitter. Nein, es waren nicht die Sperbermenschen, die zu schlagen sie sich rüstete. Sie waren nur Werkzeuge in der Hand ihres Anführers. Rache ist das Recht jeden Mannes, der gedemütigt wurde. Auf seine Ehre konnten wir nicht mehr bauen; er hatte sie längst aufgegeben, zugunsten seines Zorns.
    Ich trat in den Innenhof hinaus, wo die Leibgarde der Königin aufzog. Es waren großgewachsene, schweigsame Männer mit harten Gesichtern. Sie trugen eiserne Rüstungen und ihre Haare waren unter dem runden Helm auf besondere Art geflochten. Im Licht der Pechfackeln ging ich durch das Tor und stieg auf die Befestigungswälle. Die Schildwachen grüßten mich ehrerbietig und ich erwiderte ihren Gruß. Ich beugte mich über die Zinnen. Eisiger Wind schlug mir ins Gesicht; die Nacht war klar und kalt. Unzählige Fackeln erleuchteten die Straßen Amôdas. Ein rötlicher Lichtschein schwebte über der Stadt, wo sich die Einwohner in aller Eile zum Kampf bereit machten, Tore versperrten und Straßen absicherten. Frauen und Kinder sammelten Vorräte für den Fall einer Belagerung, Männer bildeten Ketten, um Wasserschläuche weiterzureichen, die zum Löschen der Brände bestimmt waren.
    Da wurde am Ausfalltor Stimmengewirr laut: Ein aufgeregtes Menschenknäuel drängte in den Hof. Schnell lief ich die Treppe hinunter. Die Leute wichen vor mir zurück. Im Licht der Fackeln sah ich einen alten Mann, einen Fischer, dessen Kleider in Fetzen an seinem mageren, mit Wunden bedeckten Körper hingen. Er kniete vor mir nieder, brachte schluchzend seinen Bericht vor: Als er bei Sonnenuntergang seine Netze in der Nähe der Inseln einholte, wurde sein Boot von unzähligen Pfeilen durchlöchert. Einer davon hatte seinen Sohn in die Kehle getroffen und ihn auf der Stelle getötet. Es war der älteste Sohn der Familie gewesen, ein starker, schöner Jüngling. Er selbst hatte sich retten können, indem er in die Fluten tauchte und sich von den Brandungswellen an die Küste tragen ließ.
    In dem beklemmenden Schweigen, das folgte, richteten sich aller Augen auf mich. Ich spürte die lauten Schläge meines Herzens. Mit den Worten des Fischers bestätigte sich die drohende Gefahr, die sich bisher nur mir allein offenbart hatte.
    Ich sprach zu ihm, mit trockenem Mund:
    Â»Dein Sohn war das erste Opfer eines Angriffs, der nur wenige von uns verschonen wird. Halten wir sein Andenken in Ehren!«
    Ich ordnete an, dass dem Mann der Verlust seines Bootes ersetzt wurde, und suchte mein Gemach auf, wo Miwa auf mich wartete. Sie hatte das Jammern des Fischers gehört. Ich sagte: »Leg meine Waffen bereit!«, und vor Erregung klang meine Stimme hart, sodass Tränen in Miwas Augen schimmerten.
    Â»Kleine Herrin! Du solltest nicht dein Leben aufs Spiel setzen!«
    Doch ich erwiderte ruhig: »Mein Platz ist an der Seite der Königin!«
    Da verbarg Miwa ihre Tränen. Ihr Gesicht wurde ernst und feierlich. Sie schob eine Truhe aus poliertem Tannenholz in die Mitte des Zimmers. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Vorhängeschloss. Die Fackel qualmte in der Zugluft, als sie schweigend meinen Helm aus gestepptem Leder und die ebenfalls lederne Rüstung sowie Köcher und Bogen aus Birkenholz auf die Matte niederlegte. Die Pfeile waren bereit: Es waren zwölf, von mir selbst sorgfältig geschnitzt

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