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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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herab. Meine Mutter nahm ihn behutsam zwischen die Finger und sagte: »Es geht das Gerücht um, dass mein verehrungswürdiger jüngerer Bruder von dem Himmlischen Pferd beleidigt wurde. Und es heißt, dass du an dem Unheil bringenden Zwischenfall die Schuld trägst …«
    Ich verneigte mich demütig, mit vor Scham geröteten Wangen. »Verzeiht mir, meine Mutter! Ich hatte den Hohen Herrn gewarnt. Das Pferd duldet nur mich auf seinem Rücken.«
    Die Königin zupfte nachdenklich an dem Faden. »Hast du das heilige ›Tama‹ dem Sohn des Herrn über die königlichen Reitställe als Belohnung für seinen Unterricht geschenkt?«, fragte sie in beiläufigem Ton.
    Sie wusste es also! Unwillkürlich presste ich die Hand auf mein Herz, wie um das laute, fieberhafte Pochen zu unterdrücken, und stammelte: »Wir haben kein Unrecht begangen …«
    Mit leichter Bewegung stieß meine Mutter das Schiffchen an, das zu klicken begann. »Sieh dir diese Arbeit an«, nahm sie gleichmütig das Wort wieder auf. »Die Fäden werden verknotet als Stütze für das Gewebe. Doch es genügt, nur an einem einzigen Faden zu ziehen, und das gesamte Werk löst sich auf …«
    Ich senkte die Stirn. Schweigen trat ein. Es war, als ob die Königin meine Anwesenheit nicht mehr wahrnahm. Klick-klack, klick-klack machte unentwegt das Schiffchen, bis ich endlich den Mut fand, die Stille mit meiner Frage zu brechen.
    Â»Was … werden die Folgen sein?«
    Â»Das ist mir unbekannt«, sagte die Königin. »Doch fürchte den Zorn meines Bruders …« Ihr Ausdruck war abwesend, doch in ihrer Stimme schwang der eigentümliche metallische Ton mit, der ihre Erregung verriet. Ich senkte den Kopf noch tiefer.
    Nach einem erneuten Augenblick des Schweigens wechselte die Königin unerwartet das Thema. »Deine Ausbildung als Priesterin ist fast abgeschlossen. Es ist an der Zeit, dass dir das noch fehlende Wissen auf der Heiligen Insel enthüllt wird. Du wirst Amôda morgen bei Tagesanbruch verlassen.«
    Mein Atem stockte. Ich spürte, wie ich erbleichte. Die Königin sah mich nicht an. Ihre Finger fuhren ununterbrochen mit der Webarbeit fort. Von den unzähligen Fragen, die mir durch den Kopf wirbelten, drang nur eine einzige über meine Lippen:
    Â»Aber … Hi-Uma?«
    Â»Hi-Uma«, sagte die Königin, »ist das Himmlische Pferd.«
    Ich blieb stumm. Klick-klack, klick-klack war das einzige Geräusch in der Stille. Die Königin bewegte das Schiffchen. Ich blickte auf ihr ausdrucksloses Profil, auf ihr kalt glänzendes schwarzes Haar und fröstelte.
    Eine Handbewegung: Ich war entlassen. Meine Stirn berührte den Boden und ich glitt hinaus.
    Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, begab ich mich auf die Heilige Insel.

10
    I ch bestieg ein Boot aus Schilfrohrgeflecht. Der Brauch verlangte, dass ich mit eigenen Kräften die Insel vor Sonnenuntergang erreichte. Gelang es mir nicht, erwies ich mich der Unterweisung als unwürdig: Sie würde dann um ein Jahr hinausgeschoben. Sollte mein Boot im Sturm kentern, würde mein Tod als Strafe für eine in einem früheren Leben begangene Schuld angesehen. Ich trug eine kurze Tunika und ein breites blau-weißes Stirnband, das mich vor den Sonnenstrahlen schützte. Als Proviant führte ich Trinkwasser, Früchte und Hirsekuchen mit. Bald paddelte ich aus der Flussmündung der offenen See entgegen. Die Brandung war leicht und es roch nach Tang. In der Nacht hatte ich über vieles nachgedacht. Nach dem Zwischenfall zog es meine Mutter offenbar vor, mich für einige Zeit vom Hof fernzuhalten. Der unglückselige Zusammenstoß mit dem , dessen Name verflucht ist, hatte ihren Entschluss noch bekräftigt. Seine Drohung ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Ich ängstigte mich um Hi-Uma, doch tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass er es wohl nicht wagen würde, sich an dem Himmlischen Pferd zu vergreifen.
    Je weiter ich mich vom Hafen entfernte, desto mehr verblassten meine düsteren Vorahnungen. Eine eigenartige Erregung ließ mein Herz schneller schlagen. Sollten mir die Hohen Mächte wohlgesinnt sein, würde ich noch vor Nachteinbruch die Insel erreichen, wo auch meine Mutter als Priesterin unterwiesen worden war. Anfänglich war sie nicht zur Herrscherin bestimmt gewesen. Als einzige Tochter des Königs Watatsumi-no-Mikoto war sie als

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