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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Nachfolgerin der Hüterin des Feuers ausersehen und dementsprechend erzogen worden. Nach dem Tode des Königs, meines Großvaters, teilten seine beiden Söhne das Reich unter sich auf. Es brachen unruhige Zeiten herein, in denen sich die einundzwanzig Stämme von Yamatai in Bruderkriegen erschöpften und vernichteten. Weder Tsuki-Yomi noch seinem jüngeren Bruder gelang es, den Zwist beizulegen. In ihrer Not wandten sie sich an die Hüterin des Feuers, die das Orakel befragte. Die Antwort lautete, dass unter Männerherrschaft Aufruhr entstünde; sobald aber eine Frau regierte, die Völker sich verständigten. So verließ Himiko die Heilige Insel, um Yamatai zu regieren. Sie stellte Frieden und Wohlstand wieder her. Das Orakel hatte auch vorausgesagt, dass sie ein neues Herrscherhaus begründen würde.
    Die Zeit verstrich, die Brandung schäumte. Ein Schwarm Delfine begleitete mich eine Weile. Ihr Anblick beglückte mich. Geschmeidig glitten ihre glänzenden Körper durch die Wellentäler. Doch je höher die Sonne stieg, desto drückender wurde die Hitze. Der Himmel wurde dunstig, das Meer farblos. Meine Schultern schmerzten; an meinen Handflächen bildeten sich Blasen. Der Wellengang wurde stärker. Schweißgebadet und keuchend kämpfte ich gegen die Strömung, die mich von der Insel abzutreiben drohte. Bald lähmte bleierne Müdigkeit meine Arm- und Rückenmuskeln. Mein Wahrnehmungsvermögen ließ nach. Die emporwachsenden Klippen schwankten vor meinen Augen. Flammen schienen aus den steilen Wänden zu lodern, die wie riesige schwarze Spiegel über den Wellen hingen.
    Wieder verging Zeit. Schon verwandelte die sinkende Sonne das Wasser in Gold, als ich endlich die Insel erreichte. Mit letzter Kraft paddelte ich an den Riffen entlang und suchte einen Landeplatz. Das Wasser schlug gurgelnd an die nass glänzenden Felsen. Es roch nach warmem Tang, nach verwesenden Muscheln.
    Am Fuß der Klippen schimmerte ein halbkreisförmiger Sandstreifen. Ich sprang aus dem Boot und zog es ans Ufer, wobei ich bis zu den Hüften im Wasser watete. Erschöpft und durchnässt zerrte ich das Boot den Strand hinauf, befestigte die Bootsleine an einem Felsen. Mein umherschweifender Blick entdeckte Steinstufen, die in einem Spalt an der Basaltmauer emporführten. Ich wrang mein nasses Gewand aus, entwirrte mein zerzaustes Haar und begann den Aufstieg. Steil wanden sich die Stufen zwischen Klippengestein empor. Der Wind sang pfeifend in der Schlucht. Stahlblau funkelte der Abendhimmel. In der zunehmenden Dunkelheit waren die Stufen kaum noch zu erkennen.
    Plötzlich blieb ich überrascht stehen. Auf einem überhängenden Felsen stand eine weiße regungslose Gestalt. Mit fliegendem Atem erklomm ich die letzten Stufen, fiel schwitzend auf die Knie.
    Meine Stirn berührte den Boden. Als ich den Kopf wieder hob, deutete die Gestalt eine Bewegung an. »Tritt näher!«, schien sie zu sagen. Ich gehorchte und sah vor mir eine alte Frau von ungewöhnlich hohem Wuchs. Sie war in ein weich fallendes Gewand gehüllt. Ein schmales Stirnband hielt die Fülle ihrer silberweißen Haare zusammen. Ihr elfenbeinfarbenes Gesicht mit der gewölbten Stirn und der leicht gebogenen Nase war mit einem Faltennetz überzogen, der Äderung eines verwelkten Blattes ähnlich. In diesem Antlitz leuchteten die erstaunlichsten Augen, die ich je gesehen hatte: nachtschwarz und doch von einer Klarheit, die sie fast durchsichtig schimmern ließ. Die Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes verborgen, neigte die Frau leicht die Stirn zum Gruß.
    Â»Sei willkommen, Toyo-Hirume-no-Miko«, sprach sie mit gedämpfter Stimme. »Ich habe dich erwartet.«
    Sie wandte sich um, stieg langsam und leichtfüßig die Stufen hinauf. Ich folgte ihr. Je höher wir kamen, desto weiter entfaltete sich das kupferrot schimmernde Meer. Mit einem Mal gab die Felswand eine Öffnung frei. Vor meinen erstaunten Augen erschien ein kreisrunder, mit weißem Sand bedeckter Hof. Er war von schwarzen Quadersteinen gesäumt, in die in regelmäßigen Abständen rote Steine eingefügt waren. In der Mitte erhob sich ein Turm, höher als alle, die ich bisher gesehen hatte. Er glich einem gewaltigen Kegel, dessen Spitze sich in den Himmel schwang. Mir stockte der Atem. Nie hätte ich ein solches Bauwerk für möglich gehalten!
    Die Frau wandte mir ihre

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