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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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klaren Augen zu, in denen sich das Abendlicht spiegelte.
    Â»Das Heiligtum ist sehr alt«, sagte sie. »Es wurde von deinen Vorfahren, den Herren der Meere, erbaut. Hier ruht dein Ahne, König Watatsumi-no-Mikoto. Ihre Hoheit Königin Himiko, deine Mutter, wird ebenfalls hier begraben werden. Doch deine letzte Ruhestätte, Toyo-Hirume-no-Miko, wird nicht auf dieser Insel sein.«
    Ihre Worte erstaunten und beunruhigten mich. Ich bin die Erbin des Königreiches, dachte ich. Warum sollte mir das heiligste Recht, neben meinen Vorfahren zu ruhen, verwehrt sein?
    Die Hüterin des Feuers schien die Frage, die ich nicht auszusprechen wagte, in meinem Blick zu lesen. »Es kann nicht sein«, sagte sie schlicht.
    Sie schritt weiter, so leichtfüßig, als ob sie schwebte. Wir gingen zwischen zwei massiven Pfosten hindurch, die das Eingangstor stützten, und traten in einen großen, mit Matten ausgelegten Vorraum. Mächtige Zedernholzbalken stützten in schwindelerregender Höhe die Decke. Während meine Augen verwirrt umherschweiften, blieb die Priesterin stehen. Sie wartete, bis ich näher kam, und berührte leicht meine Schulter.
    Â»Wisse, dass die Unterweisung auf der Heiligen Insel einst lange Jahre dauerte. Deine verehrungswürdige Mutter verlebte sieben Jahre an diesem Ort und hütete das Heilige Feuer. Nun aber bleibt mir nur wenig Zeit, um dich zu unterrichten. Viele Dinge, die du sehen oder hören wirst, werden dir seltsam vorkommen. Ich gestatte dir daher, mir Fragen zu stellen.«
    An diesem Abend sprach sie nicht weiter. Eine sehr alte, schweigsame Dienerin geleitete mich zu dem Raum, der mir als Aufenthaltsort zugedacht war. Das mit Binsenmatten ausgelegte Zimmer war karg und nur mit dem Nötigsten eingerichtet: einem kleinen schwarzen Schreibpult, einer Fackel, einer Decke. Alle Wände bestanden aus massiven Steinblöcken. Die einzige Lichtquelle war eine viereckige Öffnung, durch die das Sternenlicht schien. Die Dienerin trug ein Kohlebecken herein und brachte mir eine Mahlzeit aus Reis und Gemüse. Ich war erschöpft und legte mich bald schlafen. Doch bevor ich die Augen schloss, richtete ich den Blick auf das Stück Himmel, das durch den Steinrahmen sichtbar war. Das Sternbild des Orion, den wir den »Fürsten« nennen, schob sich langsam in die Mitte des Vierecks. Er glich einem Riesen mit umgürtetem Schwert, der in funkelnder Pracht durch die Finsternis wanderte. Dann schlief ich ein.
    In der Morgendämmerung weckte mich die Kälte. Mit einer Decke um die Schultern näherte ich mich der Öffnung und beugte mich hinaus. Über die tiefblaue See breitete sich eine perlmutterfarbene Lichtwelle aus, während goldene Wolken sich fächerförmig auflösten. Goldgeränderte Wolken zogen über den Himmel. Mit einem Mal fuhr ich zusammen: Es war, als ob der Boden unter meinen Füßen schwankte. Ein fast unmerkliches Beben, so als seufzte die Insel im Schlaf. Da nichts weiter geschah, beruhigte sich mein Herzklopfen. Ich nahm an, dass lediglich der Widerhall der Brandung das Gestein erzittern ließ.

    Während ich mich ankleidete, trat die Dienerin ein, brachte mir Reis und heißen grünen Tee. Sie ließ mich wissen, dass die Hüterin des Feuers mich erwartete.
    Ich fand sie in einem großen, hellen Raum, in dem ein Webstuhl stand. Ihr fließendes Gewand lag in strengen, würdevollen Falten um ihre Knie. Die Morgensonne spiegelte sich auf ihrem Haar, das wie ein schimmernder Schleier ihre Schultern bedeckte.
    Ich verneigte mich auf der Schwelle des Raumes. Als ich mein Gesicht erhob, erkundigte sie sich freundlich, ob ich gut geschlafen hätte. Ich dankte ihr höflich und verneigte mich erneut. Durch ein Zeichen gebot sie mir, mich in kurzem Abstand vor ihr auf der Matte niederzulassen. Dann begann sie zu sprechen, in einem rhythmischen Tonfall, der wie Musik klang. Wie meine Mutter arbeitete sie dabei an ihrem Webstuhl, dessen Schiffchen mit leisem Klicken ihre Worte begleitete.
    Â»So also wurden die Wesen, von denen du abstammst, geboren: Am Anfang des Himmels und der Erde kamen die ›Kami‹, die Gottheiten, in der Hochebene des Himmels zur Welt. Die Erde war zu jener Zeit nur ein schwimmender Ölfleck und bewegte sich wie eine Schirmqualle voran. Während die Materie sich formte, wurden im Himmel sieben Generationen von Gottheiten geboren. Doch war es notwendig, die Erde zu befestigen.

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