Im Zeichen des Adlers
hatte, und er hatte auch die Leiche gefunden. Seinen eigenen Worten zufolge sollte der Mörder ihn vor der Tat niedergeschlagen haben. Nach Angaben eines Polizeisprechers zweifelte man an dieser Aussage; weitere Verhöre würden gerade stattfinden.
Der Schreiber der Zeilen (mi, hinter dessen Kürzel Philemon de Lamaze den Boulevard-Reporter Mimiche wußte) erging sich im weiteren in eigenen Spekulationen. Offenbar - oder zumindest erweckte er mit seinen Worten den Anschein - hatte er selbst einen Blick auf die Leiche werfen können, und er gipfelte in der Behauptung, daß kein Mensch diese Tat begangen haben konnte - allenfalls ein Tier, oder etwas Schlimmeres .
Philemon lächelte freudlos. Bei aller ehrlicher Entrüstung und tief empfundener Abscheu, die er Mimiche durchaus zubilligte, war dieser Mord ganz unzweifelhaft ein gefundenes Fressen für den Reporter, ein Fall so recht nach Mimiches Geschmack. Zumal wenn man, wie Philemon es konnte, zwischen seinen Zeilen zu lesen verstand Ein Bild der Toten war nicht veröffentlicht worden (selbst Mimi-che kannte Grenzen), dafür aber ein Foto des Tatorts: eine schmale Gasse, die vom Place du Tertre wegführte, tagsüber ein Treffpunkt für zahlreiche Maler, die dort, im Herzen des Künstlerviertels Montmartre, im Freien arbeiteten und ausstellten.
Philemon de Lamaze faltete die Zeitung zusammen, verstaute sie in der Innentasche seiner Jacke und beglich die Rechnung. Dann trat er aus dem Bistro, ging am weltberühmten Moulin Rouge vorbei und bog in die nächste Straße ein, die zum Montmartre hinaufführte.
Montmartre, einst ein eigenes, auf einem Hügel gelegenes Dorf, das der Moloch Paris sich irgendwann einverleibt hatte, zeichnete sich durch seine ganz eigene Atmosphäre aus. In gewissem Sinne war es immer noch ein Dorf, das nur zufällig inmitten einer Weltstadt lag und sich von deren Hektik nicht hatte anstecken lassen.
Heute jedoch lag etwas Bedrückendes über Montmarte. Weder sicht- oder greifbar, nur zu spüren; etwas, das das Atmen erschwerte und das Leben an diesem Ort lähmte. Dazu kam noch der feine Nebel, der in den Gassen hing und die sonst so muntere Farbenvielfalt grauwusch.
Etwas wie das Echo jenes Mordes schien durch die Gassen zu treiben und jeden Menschen wie mit totenkalter Hand zu berühren. Angst ging um wie ein Gespenst.
Philemon de Lamaze ließ sich davon jedoch nicht infizieren. Angst vor solchen Gespenstern war ihm fremd, seit seiner Jugend schon. Seit sie nicht mehr seine Feinde waren, sondern - Verbündete, vertraute Wegbegleiter .
Den Tatort, fast oben auf dem Montmartre gelegen, hätte Phile-mon auch dann gefunden, wenn er die Örtlichkeiten weniger gut gekannt hätte. In der Nähe der betreffenden Gasse, die ansonsten kaum Interessantes zu bieten hatte, hielten sich auffallend viele Leute auf, darunter ein paar Uniformierte sowie Polizisten in Zivil, denen man ihre Profession dennoch ansah.
De Lamaze hielt sich etwas abseits und beobachtete das Geschehen, und vor allem die Leute. Jeden einzelnen unterzog er einer gewissenhaften Musterung, und hätte ihn jemand beobachtet, würde dieser Jemand unschwer festgestellt haben, daß der junge Mann mit dem dunklen Haar nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau hielt -oder nach Jemandem .
Als er letztlich nicht fündig wurde, zeigte sein Gesicht weder Enttäuschung noch Erleichterung, sondern einen Ausdruck, der irgendwo dazwischen lag.
Es wäre auch zu leicht gewesen, dachte er, in sich gekehrt lächelnd.
Als gehöre er nur zu den Schaulustigen, mischte sich Philemon de Lamaze dann unter die Leute und näherte sich einigermaßen unauffällig dem Tatort, der noch immer mit Plastikbändern abgesperrt war. Trotzdem war auch aus der Distanz genug zu erkennen. Kreidestriche zeichneten die Fundstelle der Leiche nach, andere markierten Stellen, wo mögliche Beweismittel gelegen hatten.
Auffallend wenige, wie Philemon für sich bemerkte.
Sein Blick wanderte weiter über das abgesperrte Terrain. Hie und da waren dunkle Flecken auf dem Pflaster der Gasse zu sehen.
Und ungewöhnlich wenig Blut..., stellte der junge Mann weiter fest, beinahe staunend. Er hatte ein anderes Szenario erwartet ...
Er drängte sich ein Stück an der Absperrung entlang, den Blick überlegend gesenkt - und stutzte plötzlich.
Was war das?
Unauffällig sah er sich um, dann bückte er sich und tat, als binde er seine Schnürsenkel neu. Dabei klaubte er unbemerkt vom Boden auf, was ihm ins Auge gefallen war.
Eine Feder
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