Im Zeichen des Adlers
Frage: »Wenn du hier hereingekommen bist, dann kennst du sicher auch den Weg hinaus?«
»So ist es.«
»Zeige ihn mir!«
»Wenn es an der Zeit ist.«
»Wenn es an der Zeit ist?« stieß Hidden Moon hervor. »Verdammt, es ist an der Zeit! Ich sitze schon viel zu lange hier fest. Ich muß raus aus diesem Loch!«
Chiyoda hob beschwichtigend die Hand.
»Verrate mir erst, wer dich hier eingesperrt hat, und aus welchem Grund die Macht des Bösen in dich gefahren ist.«
»Woher ... willst du das wissen?« fragte Hidden Moon argwöhnisch.
»Es wurde mir zugetragen.«
»Von wem?«
»Von Makootemane.«
Der Vampir prallte förmlich zurück, als Chiyoda den Namen nannte. Das war doch ... unmöglich! Der Alte da konnte seinen Vater nicht kennen - oder doch?
»Makootemane ist tot«, sagte er nur, leise und rauh.
Chiyoda nickte. »Das ist wahr. Und doch treffe ich mich mit ihm.«
»Wo?« stieß der Arapaho hervor. »Wie sollte das gehen?«
Der Chinese lächelte. »Du magst glauben, vieles zu wissen. Aber du weißt nicht, was hinter dem vorgeht, was für dich die Wirklichkeit ist. Dort liegen Welten, die nur ein geschulter Geist erfassen kann.«
»Ich verstehe nicht -«
»Ich weiß«, sagte Chiyoda.
»Weshalb bist du hier? Nur um zu reden?« fragte Hidden Moon, der Unterhaltung längst überdrüssig.
»Nein. Makootemane bat mich, dir zu Hilfe zu eilen«, erwiderte Chiyoda. »Und so bin ich gekommen, um zu ergründen, ob du Hilfe brauchst - oder überhaupt willens bist, dir helfen zu lassen.«
»Natürlich brauche ich Hilfe«, sagte der Vampir heftig. »Bring mich von hier fort!«
Chiyoda schüttelte lächelnd das Haupt. »Ich spreche nicht von solcher Art der Hilfe. Es geht vor allem um etwas anderes -«
»Um was?«
»Das Böse«, sagte Chiyoda knapp. »Es ist stark in dir, wird nicht mehr abgeleitet von einem - wie nennt deine Sippe es? Ach ja, von einem Seelenadler.«
»Was weißt du schon über meine Sippe -?«
»Alles, was Makootemane mir darüber erzählte«, entgegnete der Chinese und fuhr dann fort: »Ich könnte dir helfen, dem Bösen zu entsagen - vorausgesetzt, du willst es. Denn ich kann es dir nicht abnehmen, wie dein Adler es vermochte. Ich kann dir nur Möglichkeiten zeigen, dich der dunklen Kraft zu entledigen. Tun mußt du es selbst.«
Hidden Moon lächelte verschlagen. »Ich nehme an, du wirst mich nur unter dieser Voraussetzung hier herausholen - wenn ich bereit bin, dem Bösen zu entsagen.«
Chiyoda nickte schweigend.
»Nun«, meinte Hidden Moon, »dann verspreche ich es natürlich.« Sein Ton indes ließ keinen Zweifel daran, daß die Worte nur dahin-gesagt waren. Und er setzte noch hinzu: »Wie könntest du mich an mein Versprechen binden?«
»Das kann ich nicht«, erklärte Chiyoda offen. »Denn ich bin nur ein Mensch, ohne besondere Macht. Aber -« Er verstummte.
»Aber?« hakte der Vampir schließlich ungeduldig nach.
»- ich werde dich an einen Ort bringen, wo du über kurz oder lang zu deinem Wort stehen wirst. Dessen bin ich mir ganz sicher.«
»Was soll das für ein Ort sein?« wollte der Arapaho wissen. »Wohin bringst du mich?«
Chiyoda blieb ihm die Antwort schuldig.
Er tat einen Schritt, überwand damit die meterweite Distanz zu Hidden Moon, als benutze er eine geheime Abkürzung, faßte den Vampir bei der Hand - - und nahm ihn mit.
In seines Vaters Reich.
* »Mein Sohn .«
Die Berührung Makootemanes war sonderbar leicht, als wiege sein Leib nichts und als sei nicht mehr die geringste Kraft in seinen Gliedern. Aber Hidden Moon hatte ohnedies kaum einen Blick für seinen Blutvater - viel mehr beschäftigte ihn der plötzliche Ortswechsel, den er sich nicht zu erklären wußte, sowie der Ort selbst, an dem sie sich befanden.
Er war - nicht wirklich. Nicht echt.
Die Farben, das Geräusch des sachten Windes, der das Präriegras kämmte - nichts sah so aus und hörte sich so an wie in der Welt, die Hidden Moon seit über dreihundert Jahren Heimat war. Die Ähnlichkeit mochte zwar groß sein, aber vielleicht fielen die Unterschiede gerade deswegen so stark auf.
»Wo sind wir?« brachte er endlich hervor.
»Vielleicht ist dieser Ort das, was wir als Land unserer Ahnen bezeichnen - vielleicht auch nicht«, antwortete Makootemane. »Ist man erst einmal hier, zählt der Name nicht mehr.«
»Ich -«, begann Hidden Moon, sich immer noch verunsichert umsehend, »- ich habe nicht vor, hierzubleiben.«
»Es wird dir nichts anderes übrigbleiben. Die Möglichkeiten deiner
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