Im Zeichen des Adlers
gefallen oder nicht.«
Einen Moment lang schwieg Makootemane. Hinter seiner Stirn überschlugen sich die Gedanken, wie in seiner Brust die Gefühle einander jagten.
»Trotzdem«, sagte er schließlich, »ich möchte es tun. Bring mich zu diesem Ort, ich bitte dich darum, mein Freund.«
Chiyoda nickte, berührte die Hand des Arapaho und trat einen Schritt zurück. »Wir sind schon da.«
Makootemane sah sich um. Chiyoda hatte ihn in eine Welt geführt, deren Pflanzenreichtum von geradezu überwältigender Vielfalt war. Alle standen sie in voller Blüte oder trugen schon Früchte, von denen der Arapaho die wenigsten je zuvor gesehen hatte. Die Luft war erfüllt von ihrer Aromenvielfalt.
Wäre er noch darauf angewiesen gewesen, Luft zu holen, so hätte es Makootemane jetzt den Atem verschlagen. Zwei Worte kamen ihm von den Lippen, einem Hauch gleich.
»Manitous Garten .«
Chiyoda nickte unwillig. »Ja, durchaus möglich. Dennoch meide ich diesen Ort tunlichst.«
»Aber - warum?« wollte Makootemane wissen.
»Weil er verführerisch ist.«
Makootemane ließ es damit bewenden und fragte: »Wie kann ich nun von hier aus hinüber in die Welt der Lebenden sehen?«
Chiyoda wandte sich um und wies auf einen Baum, kaum fünf Schritte entfernt. Die Zweige bogen sich unter der Last ihrer Früchte so weit zu Boden, daß man die untersten mühelos mit der ausgestreckten Hand erreichen konnte.
»Dort«, sagte er nur.
»Ich verstehe nicht -«, meinte Makootemane, während er schon auf den Baum zutrat.
»Pflücke eine Frucht«, sagte Chiyoda.
Der Arapaho hob den Arm, seine Finger berührten eine der runden, rotglänzenden Früchte, griffen aber nicht zu, sondern wanderten weiter zur nächsten und übernächsten.
»Welche nur?« murmelte er. »Sie sind alle wunderschön, zu schön fast, um sie -«
»Es ist gleich, für welche du dich entscheidest«, erklärte Chiyoda mit leiser Ungeduld.
Endlich schloß sich die Hand des Arapahos um eine Frucht. Vorsichtig drehend pflückte er sie vom Ast. Dann betrachtete er sie wie etwas unendlich Kostbares.
»Und nun?« fragte er schließlich.
Chiyoda trat zu ihm, streckte die Hand nach der Frucht aus und berührte sie mit den Fingerspitzen, ohne daß Makootemane sie losließ.
»Konzentriere dich auf den Ort, zu dem du hinzusehen wünschst«, forderte er den Arapaho auf.
Der nickte und starrte angestrengt auf die Frucht. Die Struktur der roten Schale begann sich für ihrer beider Blicke aufzulösen, als würde sie flüssig, und schließlich wirkte sie wie die Oberfläche eines winzigen Teiches, der mit rötlichem Wasser gefüllt war - oder mit Blut. Und darauf . zeigte sich ein Bild.
»Mein Dorf«, flüsterte Makootemane erschrocken. »Was ist geschehen? Es ist -!«
Obwohl die Szenerie miniaturisiert war und unscharf, konnte man doch erkennen, daß die Zelte verlassen waren. Einige waren eingestürzt, andere zerrissen.
»Was ist mit meinem Stamm geschehen?« fragte Makootemane fast tonlos.
»Ich hatte dich gewarnt«, erinnerte Chiyoda.
Der Arapaho schien ihn kaum zu hören. Seine Züge erstarrten unter neuer Anstrengung, als er seine Gedanken auf ein neues Ziel konzentrierte.
Die Szene auf der Frucht verschwamm, als habe man einen Stein in eine Wasserspiegelung geworfen. Dann verliefen sich die Wellen. Und ein neues Bild gewann Kontur - Makootemane schrie auf! So plötzlich und heftig, daß Chiyoda erschrocken zurückfuhr. Er hatte nur einen flüchtigen Blick auf jenes neue Bild erhaschen können. Ein Mann war zu sehen gewesen - dessen Leid er nicht hätte teilen wollen ...!
»Was ist?« fragte er den Arapaho.
Makootemanes Griff verstärkte sich wie im Krampf. Seine dürren Finger gruben sich durch die Schale und ins Fleisch der Frucht. Rot wie Blut quoll ihr Saft ihm aus der Faust.
»Dieser Mann -«, setzte er keuchend an, »- er muß Höllenqualen erdulden. Und ich kann ihm nicht beistehen .«
»Wer ist -«, begann Chiyoda und verbesserte sich dann mit Blick auf die zerdrückte Frucht in Makootemanes Hand, »- wer war er?«
»Mein Sohn«, antwortete der Arapaho. »Mein liebster Sohn.« Er schluckte hart. »Wyando«, ergänzte er dann mit fast erstickter Stimme. »Hidden Moon .«
*
Wochen zuvor Italien, nahe Rom
»Ciao, Mamma.«
Lucia Goldoni schluckte heftig. Den stacheligen Kloß, der ihr mit einemmal im Hals saß, wurde sie damit allerdings nicht los. Zwei einsame Tränen rannen ihr warm links und rechts über die Wangen.
»Nun wein du nicht auch noch«, bat
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