Im Zeichen des Adlers
Lucias Mutter, ebenso angestrengt wie vergeblich bemüht, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Ihre Augen schienen wie mit flüssigem Glas überzogen, so sehr schwammen sie in Tränen ob des Abschieds von ihrer Tochter.
Lucias Vater stand derweil schweigend neben Frau und Kind. Seine Miene war wie versteinert, nur seine Wangenmuskeln zuckten arhythmisch.
Sein Blick jedoch war so starr geradeaus gerichtet, als interessierten ihn das geschäftige Hin und Her und das Stimmengewirr im Abfertigungsbereich des Flughafens Leonardo da Vinci sehr viel mehr als der Abschied von seiner Tochter. Lucia griff nach seinen Händen und sah zu ihm auf. »Papa, bitte -«, setzte sie leise an, schluckte wieder und fuhr dann fort: »Bitte, wünsche mir alles Gute, Papa -«
»Du weißt, was ich mir wünsche«, erwiderte Paolo Goldoni hart, ohne seine Tochter anzusehen.
Lucia nickte. »Ja. Aber du weißt, daß mein Entschluß feststeht. Ich möchte etwas aus meinem Leben machen, und dazu muß ich -«
»Gar nichts mußt du«, fiel Paolo Goldoni ihr ins Wort. »Du kannst auch hier etwas aus deinem Leben machen! Heirate und werde -«
»- Mutter von mindestens fünf bambini?« unterbrach ihn Lucia nun ihrerseits. Sie lachte bitter auf. »Nein, Papa, das ist es nicht, was ich vorhabe. Und ich wollte, du würdest meine Pläne respektieren.« »Wie könnte ich das, wo du unsere Familie zerbrechen läßt?« »Das tue ich nicht!« Lucia wurde so laut, daß vorbeigehende Leute die Köpfe umwandten. Noch immer ließen Tränen die dunklen Augen der jungen Römerin schimmern, dahinter jedoch begann das Feuer des Zorns zu flackern.
»Ich verlasse euch doch nicht für immer«, sprach sie dann weiter, angestrengt um Beherrschung kämpfend. »Aber in Paris zu studieren, das ist eine Chance -«
»In Paris studieren«, sagte ihr Vater leise. »Und wohin wirst du dann gehen? Noch weiter weg.«
Paolo Goldinis Ton klang so verbittert, als wolle er ausspucken. Fast instinktiv wich Lucia einen kleinen Schritt zurück.
»Unsinn!« erwiderte sie dann aufgebracht. »Ich werde immer wieder zu euch zurückkommen, wohin mein Weg mich auch führen wird.«
»Irgendwann wird dir dieser Weg zu weit sein«, prophezeite ihr Vater düster.
Lucias Mutter schluchzte. »Paolo, ich flehe dich an - mach uns die Sache doch nicht noch schwerer, als sie es schon ist! Warum kannst du dem Kind nicht deinen Segen geben?«
»Weil mir die Familie heilig ist, Gina, und ich es nicht gutheißen kann, wenn sie zerrissen wird!«
»Du bist es, der sie zerreißt!« warf sie ihm vor, und plötzlich klang die kleine rundliche Frau nicht mehr weinerlich, sondern fast schon kämpferisch. Paolo Goldini sah regelrecht erstaunt auf seine Gattin hinab, und sie funkelte ihn förmlich an.
Inzwischen waren die ersten Leute um sie her stehengeblieben; ausnahmslos ausländische Passagiere, die kurz vor ihrem Abflug noch auf ein original italienisches Familiendrama hofften.
»Mit deiner Hartherzigkeit und deinem Dickkopf wirst du Lucia ganz und gar vertreiben! Meinst du, sie wird je zurückkommen wollen, wenn du dich so verhältst?« fragte Gina Goldini. Sie wandte sich ihrer Tochter zu: »Ich jedenfalls wünsche dir viel Glück und alles Gute in der Ferne, mein Liebes. Auch wenn es mir schwerfällt, dich gehen zu lassen.«
Lucia sah zu ihrem Vater auf. »Und glaubst du, es fällt mir leicht, euch zu verlassen? Das tut es nicht, ganz gewiß nicht.«
Paolo Goldinis steinerne Maske begann zu bröckeln. Das Zucken seiner Wangen wurde heftiger, und er blinzelte, als sei ihm ein Staubkorn ins Auge geraten.
Der Flug nach Paris wurde aufgerufen, die Passagiere gebeten, sich am Abfertigungsschalter einzufinden.
Lucia nahm ihre beiden Koffer auf.
»Ich muß gehen«, sagte sie.
Gina Goldini drückte ihre Tochter noch einmal fest an ihr Herz. Ihr Blick sagte mehr, als jedes Wort es vermocht hätte.
»Ich liebe euch«, sagte Lucia leise, »ich liebe euch beide, mehr als ich alles auf der Welt je lieben werde.«
Sie wollte sich umdrehen, doch eine kräftige Hand hielt sie zurück. Und dann riß Paolo Goldini seine Tochter regelrecht in seine Arme.
»Vergiß uns nicht«, flüsterte er in ihr schwarzes, duftendes Haar. Sein warmer Atem ließ Lucia erschauern, ihr Herz schlug schneller. Und der Kloß in ihrem Hals schien ihre Kehle von innen heraus sprengen zu wollen. Kein Wort brachte sie mehr hervor, und so blieb ihr nur, lächelnd zu nicken, während von neuem Tränen über ihr Gesicht
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