Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Explosion war bei weitem nicht so spektakulär wie in den einschlägigen Filmen aus dem Westen, ein Blitz nur und grauer Rauch. Dafür aber rollte ein mächtiger Donner über den Platz, und im Heck des Wagens klaffte plötzlich ein großes Loch, was, wie Golowko sofort begriff, nur eines bedeuten konnte: dass von den Insassen keiner mehr lebte. Der Treibstoff hatte sich entzündet und der Wagen brannte, so wie auch ein paar Quadratmeter Asphalt. Der Mercedes kam zum Stehen. Die Reifen auf der linken Seite waren in Folge der Explosion zerfetzt und entsprechend platt. Der Lkw vor Golowkos Wagen hielt ebenfalls urplötzlich an. Anatoli riss das Steuer herum und verzog bei dem Geräusch der laut quietschenden Reifen das Gesicht.
»Gowno! « Erst jetzt sah Anatoli, was geschehen war. Er fackelte nicht lange, steuerte weiter nach rechts und trat so fest aufs Gaspedal, dass der Mercedes ins Schleudern kam. Die meisten Fahrzeuge hatten angehalten. Anatoli kurvte durch die Lücken, die sich zwischen den einzelnen Autos auftaten, und erreichte in weniger als einer Minute die Zufahrt zum Moskau Center. Schon rückten bewaffnete Wachposten auf den Platz aus. Der Kommandeur der Truppe erkannte Golowkos Mercedes, winkte ihn herbei und beauftragte zwei seiner Männer, den Wagen zur Parkbucht zu begleiten. Bis auf die Ankunftszeit war heute nichts mehr so wie sonst. Die beiden jungen Soldaten nahmen Golowko, kaum dass er den Wagen verlassen hatte, in ihre Mitte. Auch Anatoli stieg nun aus. Sein Jackett war aufgeknöpft, er hielt seine Pistole in der Hand und blickte nervös zur Einfahrt zurück.
»Bringt ihn rein! « Die beiden Soldaten bugsierten Golowko durch die messingbeschlagene Doppeltür, hinter der schon weitere Sicherheitsleute bereitstanden.
»Hier entlang, Genosse Vorsitzender«, sagte ein uniformierter Hauptmann. Er nahm Sergei Nikolaiewitsch beim Arm und führte ihn zum Fahrstuhl. Eine Minute später betrat Golowko sein Büro. Er war noch ganz benommen und fing erst jetzt an zu begreifen, was er vor drei Minuten gesehen hatte. Er ging ans Fenster und schaute nach unten.
Moskauer Polizei – hier Miliz genannt – eilte an den Tatort: drei Beamte zu Fuß. Dann tauchte ein Streifenwagen auf und schlängelte sich durch den stehenden Verkehr. Drei Männer hatten ihre Fahrzeuge verlassen und näherten sich dem brennenden Mercedes. Anscheinend hatten sie vor, erste Hilfe zu leisten. Mutig, dachte Golowko, aber vollkommen sinnlos. Von seinem Fenster aus hatte er einen guten Überblick und sah selbst auf 300 Meter Entfernung genau, dass sich das Dach aufgeworfen hatte und die Windschutzscheibe verschwunden war. Er starrte auf das rauchende Wrack, das noch vor zehn Minuten eine superteure Limousine gewesen und nun von einer der billigsten Waffen aus Beständen der Roten Armee zerstört worden war. Die Insassen des Wagens waren mit Sicherheit tot, geschreddert von den Metallsplittern, die mit einem Tempo von fast zehn Kilometern pro Sekunde auseinander gestoben waren. Ob sie mitbekommen hatten, was da passiert war? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht hatte der Fahrer noch etwas sehen und sich kurz darüber wundern können, doch der Besitzer des Wagens im Fond war bestimmt in seine Morgenzeitung vertieft gewesen und ohne jede Vorwarnung aus dem Leben geschieden.
Plötzlich wurden Golowko die Knie weich. Es hätte genauso gut ihn treffen können. Beinahe wäre für ihn jetzt eins der großen Rätsel des Lebens gelöst und die Frage beantwortet gewesen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt – eine Frage, die er sich nicht allzu häufig stellte.
Und der Attentäter? Auf wen hatte er es abgesehen? Als Chef des SVR war Golowko keiner, der an Zufälle glauben mochte. Und so viele S600er gab es in Moskau nicht, oder?
»Genosse Vorsitzender?« Anatoli stand in der Tür.
»Ja, Anatoli Iwanowitsch?«
»Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
»Mit mir, ja.« Golowko zog sich vom Fenster zurück. Er musste sich setzen. Die Knie drohten unter ihm einzuknicken und es kostete ihn einige Anstrengung, halbwegs sicheren Schritts den Drehstuhl zu erreichen. Er setzte sich, legte beide Handflächen auf den Schreibtisch und starrte auf die polierte Eichenplatte und den Stoß von Akten, die gelesen sein wollten – der übliche Anblick, der heute aber ganz anders wirkte. Er blickte auf.
Anatoli Iwanowitsch Schelepin war kein Mann, der Angst zeigte. Er hatte als Hauptmann der Spetsnaz gedient, bevor er von einem Offizier des KGB als ›Talent‹
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