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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
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»Sage mir, was jetzt geschehen soll. Ich bin bereit, den Eid mit dir abzulegen.«
    Sie kniete aufrecht und regungslos vor ihm, doch ihre Augen waren ungeheuer groß geworden. Sie atmete stockend, und als er sich zu ihr beugte und sie in die Arme schloss, drückte sie wie in tiefer Erschöpfung die Stirn an seine Schulter. Dann sagte sie mit leiser, bebender Stimme: »Wir müssen uns auf den Weg machen und den Kunne-Iomante besteigen, um Emekka, die Bärenpriesterin, aufzusuchen. Sie ist meine Großmutter. Sie wird die Riten an uns vollziehen.«
    Er hielt sie schweigend in den Armen. Plötzlich fiel sein Blick auf die Knochensichel in seiner Hand und er lachte kurz auf. »Beinahe hätte ich etwas vergessen! Überlasse mir deinen Schmuck! Ich brauche ihn …« Er näherte sich dem angepflockten Pferd und band es los.
    Erstaunt sah Kubichi zu, wie er die Sichel mithilfe der Lederbänder an die Mähne des Hengstes knotete. »Und was bedeutet das?«, fragte sie verwundert.
    Â»Ich muss Seiner sehr nervösen Majestät eine Nachricht zukommen lassen, sonst verlieren morgen bei Tagesanbruch zwanzig Männer ihre Köpfe!«
    Er gab dem Pferd einen Schlag auf die Hinterhand. Kuro-Uma schnaubte erregt und sprang zur Seite. Susanoo nahm einige Steine auf und warf sie nach dem Tier. »Vorwärts!«, befahl er. »Lauf zurück nach Tatsuda!«
    Kuro-Uma blähte die Nüstern. Er überquerte die Lichtung mit dumpfen Hufschlägen. Susanoo schleuderte ihm noch einen Stein nach. Kuro-Uma wurde schneller. Einen Augenblick noch lief er unschlüssig im Kreis. Dann verfiel er in Galopp; mit wehender Mähne bog er in das Schilfmeer ein, das sich knackend vor ihm teilte. Ein aufgeregter Vogelschwarm schwirrte vor seinen Hufen auf und kreiste im grellen Licht. Der schwarze Hengst schien in seiner Luftspiegelung zu fliegen. Er wurde immer kleiner, unscheinbarer, geisterhafter, bis er im flimmernden Dunst verschwand.
    Als das Schlagen der Hufe verklungen war, legte Susanoo den Arm um die Schultern seiner Gefährtin und brach in ungestümes Lachen aus. »Seine Allerhöchste Majestät wird die Botschaft verstehen! Komm, lass uns ein Floß bauen und den Wasserlauf hinunterfahren!«

13
    S ie hatten das Floß aus geflochtenem Schilf sorgfältig mit Lehm abgedichtet. Zwei geschnitzte Äste dienten ihnen als Paddel. Die Strömung war gleichmäßig und sie kamen schnell vorwärts. Die Luft flimmerte golden und die Lichtreflexe des Wassers tanzten auf dem Bambus. Dann veränderte sich die Landschaft. Das Schilf ging in Laub- und Nadelwälder über. Die Büsche leuchteten karminrot und kupfern und darüber ragten hohe, dunkle Tannen. Die Gegend wurde felsig. Dicht bewachsene Kuppen, Überreste erloschener Vulkane, dehnten ihre Schatten über die Lichtungen.
    Â»Nicht alle Vulkane sind tot«, sagte Kubichi. »Auf den Hängen des Kunne-Iomante spürt man noch deutlich den Atem des unterirdischen Feuers. Eines Tages wird der Berg aus tausendjährigem Schlaf erwachen und seine Glutströme in den Himmel schleudern. Das wird das Ende der Aiu-Utari sein.«
    Â»Warum ist euch dieser Berg heilig?«, fragte Susanoo.
    Â»Auf ihm stand das Haus, in dem die Prinzessin Yoichi wohnte. Von seinem Gipfel aus steigen die Boten des Himmels in einer Luftsäule geradewegs zum Nordstern empor.«
    Die Zeit verstrich; schon versank die Sonne hinter den Bäumen. Ihre Stämme leuchteten korallenrot und das Laub warf goldene Funken. Kühle Schatten glitten über das Wasser, das abwechselnd aufglänzte und sich wieder verdunkelte. Plötzlich, an einer Flussbiegung, hob Kubichi ihr Paddel aus dem Wasser und wies auf einen schlanken, fast unwirklich ebenmäßigen Kegel, der sich inmitten der Wälder zum Himmel aufschwang. »Der Kunne-Iomante!«
    Die Hänge des Berges waren schon in Schatten getaucht und eine rötliche Dunstkrone verhüllte den Gipfel. Trotz seiner scharfen Augen vermochte Susanoo nicht zu erkennen, ob es Rauch oder Gewölk war.
    Â»Wir werden den Berg noch in dieser Nacht erreichen«, sagte Kubichi. Ihre Augen schweiften über den Himmel. »Die Nacht wird klar. Der Mond geht gleich unter und die Sterne scheinen hell. Die Götter werden uns sehen!«
    Sie paddelten weiter. Das Wasser plätscherte leise; die Vögel schwiegen. Es war der Augenblick der Stille, wo die Dämmerung ihr Nahen
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