Im Zweifel suedwaerts
weniger verwirrt runzelte er die Stirn. »Ich nehme ein Flugzeug?«
»Aha.«
»Urlaub zu Ende.«
»Ja«, sagte ich und nickte. »Meiner auch.« Ich begann, die Folie aufzureißen. Der starke, würzige Geruch von Knoblauch schlug mir entgegen.
»Fladenbrot und darauf Schafskäse-Knoblauch-Paste, getrocknete Tomaten, eingelegte Zucchini und Knoblaucholiven. Köstlich!« Er rieb sich grinsend den Bauch, bevor er mit einem abfälligen Ausdruck im Gesicht auf den Sandwichladen deutete. »Der da: viel zu teuer. Nicht gehaltvoll.«
»Ich wollte mir eigentlich gar kein Sandwich kaufen …«
»Macht nix. Appetit kommt beim Essen. Meine Frau hat zwölf Stück gemacht. Das ist Kinderportion.« Das Paket war nur ein wenig kleiner als mein Kopf. Der höfliche Türke hob die Schultern. »Was will machen? Sie sorgt gut für uns.«
Ich blickte über seine Schulter und sah seine Frau und die drei Kinder – ein Sohn an der Schwelle zur Pubertät und zwei niedliche kleine Mädchen – auf einer Bank sitzen. Sie alle aßen in stiller Eintracht Fladenbrote mit Knoblauchspezialitäten darauf und sahen gut erholt, zufrieden und glücklich aus. Plötzlich erfüllte mich eine unendliche Sehnsucht. Nach dem, was der höfliche Türke hatte. Und damit waren nicht die türkischen Sandwiches gemeint. Davon hatte ich ja schon eins. Richard tauchte in meinem Sichtfeld auf. Gedankenverloren betrachtete er im Gehen den Boden und strich sich wieder und wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Und plötzlich stellte ich die Verbindung her. Auf einmal war die Erkenntnis da. Aus heiterem Himmel kam mir in den Kopf, dass ich, wenn ich Richard ansah, dasselbe Gefühl hatte, das sich in mir breitmachte, wenn ich die Familie des höflichen Türken betrachtete. Geborgenheit oder zumindest ein Versprechen davon. Versprechen sind für Idioten, meldete sich die Stimme in meinem Kopf.
»Halt die Klappe«, antwortete ich.
Der höfliche Türke sah mich erschrocken an »Klappe? Wie?!«
»Ich meinte nicht Sie.«
Was auch immer in den letzten Wochen oder Monaten vorgefallen war, Fakt war, dass Richard mir ein Gefühl gab, das ich so von keinem der anderen kannte, die einmal seinen Platz eingenommen hatten. Er war meine Familie. Und deswegen sagte ich mir: Vergiss die Schmetterlinge. Das hier ist eine Stufe weiter. Das ist unumstößliche Liebe. Dahin musste man erst einmal kommen. Das musste man erst einmal ertragen lernen.
Das musste man erst einmal kapieren.
22
Der Teil zu zweit
BETTYS MIXTAPE
M.I.A. – It Takes A Muscle
Das Geräusch des Schlüssels in der Wohnungstür erzeugte in mir dieses seltsam zwiespältige Gefühl von Vertrautheit und gleichzeitigem Fremdsein. Das hier war mein Zuhause, aber ich war so lange weg gewesen, dass es mir fast so vorkam, als träte ich zum ersten Mal in meinem Leben durch diese Tür. Ich folgte Richard in den Flur und blieb einen Moment stehen, um das Licht zu betrachten, das durch die geöffneten Zimmertüren in den langen Korridor fiel, und mich wieder an die Gerüche und Geräusche zu gewöhnen, die ich normalerweise nicht wahrnahm, weil ich immer von ihnen umgeben war. Während Richard meine Reisetasche ins Schlafzimmer trug, bog ich nach links in die Küche ab, goss mir ein Glas Wasser ein und setzte mich auf die Küchenbank vor dem Fenster. Ich trank einen Schluck, stellte das Glas ab und stutzte.
Richards Schritte brachten die Holzdielen im Flur zum Knarren, als er in der Küchentür erschien und sich mit verschränkten Armen an den Rahmen lehnte.
»Du hast die Wand neu gestrichen«, stellte ich fest.
Das Grau war nicht mehr fleckig. Die Farbe bildete eine gleichmäßige Fläche, die Kanten waren von Richard ausgebessert worden, in der Mitte hing die antike Küchenuhr, die ich aus Schimanskis Laden mitgebracht hatte.
Richard zuckte mit den Schultern. »Ich wollte dir eine Freude machen.«
»Das hast du. Danke.«
Er kam zum Tisch und setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl. »Wir müssen reden, Daphne.«
»Ja.« Ich nickte. »Das müssen wir.«
Doch bevor wir redeten, schwiegen wir. Seltsam, dass man so oft das Gegenteil von dem tat, was nötig war. Das Gegenteil von dem, was man wollte. Immerhin, darüber war ich mir inzwischen klar geworden: Was ich wollte, war Richard. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Nicht weil ich inzwischen doch zu der Überzeugung gekommen war, dass er perfekt für mich war und das Prädikat »Der Richtige« verdiente. Das wusste ich nicht, und das würde ich wohl nie
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