Im Zweifel suedwaerts
ein.
»… und ich hab das Gift rausgesaugt. So macht man das nun mal.«
Richard spitzte anteilnehmend die Lippen.
»Und als du dir dann an der Raststätte in Spanien das Foto von Max angeguckt hast und sagtest, du fändest ihn süß, dachte ich, das ist perfekt, du magst sogar Bettys Kind und …«
»Ja, Max ist niedlich. Aber eigentlich meinte ich Mo.«
»Mo?!«
Ein verlegenes Lächeln machte sich auf Marcos rundem Gesicht breit. »Der ist schon süß.«
»Kann ich nur bestätigen.« Mit einem Seufzer, der vermuten ließ, dass sie auch so etwas wie Sehnsucht in sich trug, streckte Betty alle viere von sich und blieb flach auf dem Rücken liegen. »Und was ist nun mit meinem Kaffee?«, quengelte sie.
»Kommt.« Marco nickte pflichtbewusst und stieg in den Van. »Und danach müssen wir los, wenn ihr euren Flieger nicht verpassen wollt«, rief er über das Klappern von Löffeln, Tassen, Espressokanne und Kaffeedose hinweg.
Ich warf Betty einen verstohlenen Blick zu.
»Flieger?« Sie richtete sich auf und sah mich fragend an.
»Richard und ich reisen ab. Jetzt gleich.« Ich wartete auf ihre Reaktion. Aber es kam keine. »Tut mir leid. Aber … na ja …«
»Kein Ding, Schätzelein. Ist ja schließlich Urlaub. Da kann jeder machen, was er will.« Ihr Blick war aufrichtig. Mehr noch. Sie ersparte mir nicht nur jegliche Vorwürfe, die sich an dieser Stelle anboten. Da war außerdem noch das Versprechen, dass sie für mich da sein würde, egal was als Nächstes kam. »Nützt ja nix«, sagte sie. Und damit war die Sache für sie erledigt.
Die Wolken im Süden rissen auf, und der blaue Himmel, an den wir uns in den letzten Wochen so sehr gewöhnt hatten, kam doch noch zum Vorschein. Ein bisschen so, als wollte er einen letzten Versuch starten, Richard und mich zum Bleiben zu überreden. Aber unser Entschluss stand fest. Was es jetzt zu erledigen galt, konnte nur in Hamburg getan werden. Wir schafften es nicht mehr, uns von Hannes und Lucy zu verabschieden, aber wir würden sie in ein paar Tagen zu Hause wiedersehen und gingen davon aus, dass sie ohnehin zu beschäftigt damit waren, sich zu versöhnen, als dass ihnen überhaupt auffallen würde, dass wir nicht mehr da waren.
Neben uns zog die karge Landschaft am Rand der Autobahn vorbei. Ab und zu zeigte sich auch noch das Meer, aber nur für kurze Momente. Wenn Betty und ich uns entschlossen hätten, einen Urlaub im Robinson Club zu buchen, hätte ich mit großer Sicherheit mehr davon zu sehen bekommen. Mehr Meer, mehr Sonnenbaden, mehr Ruhe, mehr Entspannung. Aber auch mehr Zeit, um mich wegen der Probleme zwischen Richard und mir wahnsinnig zu machen. Und wir hätten ganz bestimmt weniger erlebt. Lucy wäre vielleicht gar nicht mitgekommen, wir hätten ihre Eltern nicht kennengelernt, Karol und Viktor wären uns nicht über den Weg gelaufen. Wir hätten nicht auf einem französischem Parkplatz einen Fisch gegrillt und vor der Gendarmerie fliehen müssen. Wir hätten nicht den Sonnenuntergang an der Dune du Pyla gesehen, ich hätte nicht dieses Gespräch mit Lucy auf einer Mauer in Biarritz geführt, das mir geholfen hatte, sie besser kennenzulernen und zu verstehen als in all den Jahren zuvor. Wir hätten Marco und Ana nicht getroffen, hätten keine neuen Freunde gefunden. Wir hätten den seltsamen Tag auf dem Berg der Wunder nicht erlebt, nicht eine Nacht mit Jesus verbracht und wüssten jetzt nicht, wie ein Lissaboner Waschsalon von innen aussieht und was man gegen Flohbefall und Wespenstiche unternehmen kann. Betty und ich hätten uns vielleicht weniger gestritten, aber auch nicht so oft vertragen und festgestellt, wie stark unsere Freundschaft wirklich war.
Aber, sagte eine Stimme in meinem Kopf, dir wäre auch nicht Felix über den Weg gelaufen und hätte die Beziehung zwischen dir und Richard noch mehr erschüttert, die Risse noch breiter gemacht. Vielleicht. Aber es bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass auch diese Begegnung in gewisser Weise gut gewesen war. Je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich davon, dass das Treffen mit Felix kein Fehler, sondern eine Lektion gewesen war. Und sobald ich sie verstand, würde ich die Antwort darauf haben, ob Richard der Richtige für mich war. Oder nicht.
Wie hatte Oma Mathilde immer so schön gesagt? Was uns nicht umbringt, macht uns stark. In diesem Satz steckte mehr Wahres, als man im ersten Moment dachte. Denn wie kompliziert es war, eine Beziehung überhaupt erst mal zu beginnen,
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