Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
Anschlag, den Bogen gespannt.
Plötzlich senkte er die Waffe jedoch wieder. Er schien mit sich selbst zu kämpfen, bevor er rau forderte: „Die Wahrheit, Ranulf! Was ist in jener Nacht wirklich geschehen?“
„Meine Wahrheit oder die des Großmeisters?“, erkundigte sich Ranulf bitter.
„Es gibt nur eine. Hast du diese verdammten Goldtruhen gestohlen?“, forderte Malven kühl zu wissen.
„Nein, das habe ich nicht. Es existierte niemals ein Wagen mit Gold, den man mir anvertraut hätte. Erinnerst du dich noch an das Dorf Jedha, das angeblich eine solche Gefahr für die Christenheit darstellte, dass wir es vernichten sollten?“
Malven nickte langsam, und Ranulf fuhr fort: „Glaubst du wirklich, dass in diesem armseligen Dorf Gold zu holen gewesen wäre? Denk nach, verdammt! Die Leute dort waren halb verhungert. Alles, was man ihnen hätte nehmen können, waren die Lumpen, die sie am Leib trugen.“
Malvens Miene blieb reglos. „Weshalb sollte der Großmeister lügen?“ „Aus Rache an mir, mein Freund. Aus Rache, weil ich mich seinem Befehl widersetzt habe.“
Malvens Augen verengten sich. „Was meinst du damit?“
„Der Großmeister hat von mir und meinen Männern verlangt, dass wir das Dorf Jedha niedermachen. Wir sollten die Bewohner nicht einfach töten, sondern sie in ihren Häusern einsperren und bei lebendigem Leib darin verbrennen lassen. Sozusagen als Mahnmal für die anderen Dörfer, die noch folgen würden.
Verdammt noch mal, du hast die Leute dort selbst gesehen. Es waren alte Menschen, Frauen und Kinder. Die wenigen jungen Männer, die es dort gab, waren so verängstigt, dass sie bei unserem bloßen Anblick die Waffen wegwarfen. Wie, um alles in der Welt, hätten wir diese armen Kreaturen töten können? Sie waren keine Gefahr für den christlichen Glauben.“
„Aber das erklärt nicht den Tod unserer Ordensbrüder.“
„Doch, das tut es. Wir verweigerten uns dem Befehl und schlugen uns auf die Seite der Dorfbewohner. Als der Großmeister davon erfuhr, kam er mit seinen drei stummen Kriegern zu uns. Er ließ uns im Glauben, dass er unser Verhalten akzeptierte und sogar gut hieß. Bei allem, was mir heilig ist, du hättest seine salbungsvollen Worte hören müssen! Er bedankte sich sogar bei uns, weil wir ihn vor einem üblen Fehler bewahrt hätten. Wir brachen gemeinsam das Brot und tranken Wein.
Wenige Minuten später wälzten sich meine Männer vor Schmerz am Boden und starben den grässlichen Gifttod. Dieser Bastard hat mich nur verschont, weil er wollte, dass ich ihre Qualen mit ansehen musste. Das war seine Strafe für meinen Ungehorsam.“
Ranulf fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er die grässlichen Bilder in seiner Erinnerung wegwischen. „Ich konnte nichts für sie tun. Nicht einmal, als die Stummen das schreckliche Werk vollendeten und unsere Brüder mit ihren Schwertern erschlugen.“
Lange Sekunden verstrichen, ohne dass sich einer von ihnen bewegte. Malven wollte ihm nicht glauben, das konnte Ranulf deutlich erkennen. Seine Augen glitten den Hang hinunter, und sein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Er sah, wie Valandra sich zu ihnen heraufkämpfte, sah, wie sie immer wieder hinfiel und schließlich auf allen vieren den Hang erklomm, und er hörte ihr Flehen und Weinen.
„Mach schnell, mein Freund. Sie soll es nicht mit ansehen müssen. Sie hat fürwahr genug gelitten“, bat er Malven eindringlich.
„Nein!“, schrie Valandra wieder und wieder. Sie versuchte schneller zu laufen, doch der weiche Boden unter ihren Füßen ließ sie immer wieder einsinken. Sie kam kaum voran. Tränen der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit liefen über ihre schmutzigen Wangen. Sie durfte Ranulf nicht verlieren. Nicht nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten. Gott konnte doch unmöglich so grausam sein und sie jetzt noch trennen. Nicht jetzt, da sie endlich eine Zukunft vor Augen hatten. Sie hatten sich ihr Glück wahrlich hart genug erkämpfen müssen. Valandra schluchzte hemmungslos und kroch weiter den Hang hinauf.
Ranulfs große Gestalt zeichnete sich nun deutlich vom dunkelrot gefärbten Morgenhimmel ab.
Ungläubig und hilflos sah sie mit an, wie er die Arme ausbreitete und sich Malven als lebende Zielscheibe darbot. Sie sah, wie dieser den Bogen spannte, gewillt, Ranulfs Leben und damit all ihren Träumen ein Ende zu bereiten. Gequält schrie sie auf.
Nur noch wenige Schritte trennten sie von den beiden.
Doch gerade, als sie heftig
Weitere Kostenlose Bücher