Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
Junge, du solltest dich öfter in Schottland herumtreiben! Jetzt musste ich doch tatsächlich bis nach Ägypten reisen, um dich zu finden.“
Was er mit diesen rätselhaften Worten gemeint hatte, wusste Ranulf bis zum heutigen Tag nicht zu sagen. Ebenso wenig konnte er sich einen Reim darauf machen, weshalb der Schotte fortan in keiner Schlacht von seiner Seite gewichen war. Eines war jedoch gewiss: James Lamont hatte diesen Fehler teuer bezahlt.
„Setz dich zu mir“, forderte James ihn nun mit rauer Stimme auf. „Ich muss mit dir sprechen, bevor das Laudanum meine Sinne verwirrt.“
Ranulf kniete sich neben dem älteren Mann nieder.
„Bist du verletzt?“
Erstaunt über diese Frage, furchte Ranulf die Stirn. Schließlich war nicht er es, der hier im Zelt lag. „Nur einige Kratzer.“
James nickte erleichtert. „Das ist gut.“
„Nein, ist es nicht“, entfuhr es Ranulf schärfer als gewollt. „Ihr habt einen zu hohen Preis dafür bezahlt.“
„Das wird die Zeit noch zeigen“, erklärte James ernst.
Ranulf konnte derlei rätselhafte Andeutungen nicht ausstehen und machte seinem Unmut trotz Kasims Warnung Luft. „Außerdem hasse ich es, wenn ich in jemandes Schuld stehe!“
James brachte trotz der unerträglichen Schmerzen ein raues Lachen zustande.
„Das kann ich mir denken. Deshalb also dieses finstere Gesicht.“
„Ja, deshalb! Also, was kann ich für Euch tun, um diese Schuld zu begleichen?“
Ein Schatten glitt über James’ schweißbedecktes Gesicht, und er stieß wütend hervor: „Ich bin kein Mann, der für seine Taten einen Gegendienst verlangt. Ich bin mein eigener Herr, und ich handle so, wie ich es für richtig erachte.“
Er schloss gequält die Augen, als die Schmerzen ihm die Besinnung zu rauben drohten. „Trotzdem muss ich dich um einen Gefallen bitten.“
„Um welchen?“
„Ich habe einen Brief aus der Heimat erhalten. Meine Familie ist in Gefahr...“ Er sog scharf die Luft ein, als heftige Wellen des Schmerzes seinen Körper peinigten. „Sie brauchen... Hilfe.“
Ranulf presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er ahnte, was nun folgen würde, und es gefiel ihm ganz und gar nicht. „Die schottischen Nachbarlords halten mich bereits für tot und sind wie stinkende Aasgeier hinter meinem Besitz her. Der Teufel soll die Mistkerle holen! Einer von ihnen hat sogar versucht, meine Frau zu entführen. Er wollte sie zur Heirat zwingen, um so an meinen Besitz zu gelangen. Glücklicherweise konnte Val das Schlimmste verhindern, aber dieser elende McGregor wird nicht aufgeben.“ Er reichte Ranulf eine Pergamentrolle. „Lies selbst.“
Ranulf überflog die Nachricht. „Dieser Val scheint die Burg recht gut zu führen. Ihr könnt stolz auf Euren Sohn sein.“
Ein liebevolles Lächeln legte sich um James’ trockene Lippen. „Ja, Val ist mein ganzer Stolz.“ Das Lächeln verschwand. „Aber mein Kind ist zu jung für diese Verantwortung.“
Mit erstaunlicher Kraft packte er Ranulfs Arm und starrte ihn aus eindringlichen grünen Augen an. „Ich möchte, dass du an meiner statt nach Walkmoor Castle reist und Val beistehst.“
Ranulf schüttelte entschieden den Kopf. „Das ist unmöglich. Ich wäre eine größere Gefahr für Eure Familie als jeder Feind.“
Dies entsprach leider der Wahrheit. Der Großmeister hatte seinen Tod beschlossen, und jeder, der Ranulf zu nahe kam, lief Gefahr, ebenfalls getötet zu werden. Aymeric de la Chacre, eben jener Großmeister, versuchte mit allen Mitteln zu verhindern, dass jemand Näheres über seine ‚Heiligen Streiter’ erfuhr. Sie waren Mönchskrieger - ein lebender Mythos, der die Menschen weit über Frankreichs Grenzen hinaus in Angst und Schrecken versetzte. Im Volksmund wurden sie furchtsam die ‚Bluthunde des Teufels’ genannt und waren sowohl für ihre uneingeschränkte Loyalität ihrem Herrn gegenüber als auch für ihre Grausamkeit bekannt – und sie waren hinter Ranulf her.
„Ich kann nur hoffen, dass dem nicht so ist...“ Erneut wurde James von heftigen Schmerzen geschüttelt. „Ich würde dich nicht um diesen Gefallen bitten, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe.“ Er blickte bitter auf den bandagierten Armstumpf. Keine zehn Zentimeter waren von seinem linken Arm übrig geblieben, und der Schmerz war trotz des Laudanums kaum zu ertragen. „Ich möchte meine Familie in Sicherheit wissen, falls ich diese Sache hier nicht überlebe.“ Er dachte kurz an seine Frau und deren Tochter. Nach dem
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