Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
dann zuckte er mit den Schultern, wobei sein Kettenhemd leise klirrte. „Das Leben ist nun mal eine Enttäuschung. Man gewöhnt sich daran, schätze ich.“
Kasim senkte betrübt den Kopf. „Das Leben ist ein Geschenk, mein Freund.“ „Ein feines Geschenk, fürwahr“, gab Ranulf bitter zurück. Sein Blick glitt beinahe sehnsüchtig zu den Dünen, hinter denen die Toten begraben lagen. „Dann sollte es jemand erhalten, der Wert darauf legt.“ „Deine Verbitterung schmerzt mich tief.“
„Verdammt noch mal!“ In einem plötzlichen Ansturm ohnmächtiger Wut ballte Ranulf die Rechte zur Faust und hieb kraftvoll gegen den Stamm der Palme. „Ich habe jeden erdenklichen Grund, verbittert zu sein. Seit jeher war es mein einziger Wunsch, auf einem Schlachtfeld zu sterben. Ein ehrenvoller Tod, in einem fairen Zweikampf. Ist das denn tatsächlich zu viel verlangt? Aber alles, was ich bekomme, ist ein Todesurteil für ein Verbrechen, das ich niemals begangen habe. Von einer Familie, zu der ich nie gehörte, und von einem Freund vollstreckt, der mir niemals ein wahrer Freund gewesen ist. Also sag mir, warum, zum Teufel, sollte ich nicht verbittert sein?“ Ranulf fuhr sich aufgebracht mit der Hand durchs Haar. „Seit mehr als vier Jahren warte ich darauf, dass Malven endlich das Todesurteil vollstreckt. Woche für Woche, Tag für Tag, Stunde für Stunde warte ich in der Gewissheit, dass jeder Augenblick mein Letzter sein kann. Ist es da ein Wunder, wenn ich das Ende dieser Wartezeit herbeisehne? Weshalb lässt sich dieser Hundesohn nur so verdammt viel Zeit?“
Kasim senkte betroffen den Kopf. Erst jetzt erkannte er das volle Ausmaß von Ranulfs düsterem Gemütszustand. Es kam äußerst selten vor, dass dieser ihm Einblick in seine Seele gewährte, und wenn, so fand er dort nichts als Trostlosigkeit und tief verwurzelte Bitterkeit vor. Eine Bitterkeit, die von einem Leben voller Enttäuschungen zeugte.
Doch heute war etwas gänzlich anders. Es war das erste Mal, dass Ranulf diesen Malven beschimpfte. So unglaublich es auch klingen mochte, bisher hatte er von diesem Mann nur als Freund gesprochen.
Kasim betrachtete verstohlen Ranulfs verschlossenes Profil, und tiefes Mitgefühl erfüllte seine Brust. Wie einsam musste ein Mensch sein, um einen Kerl Freund zu nennen, der ihm seit Jahren das Leben zur Hölle machte?
Urplötzlich änderte sich Ranulfs Haltung, und Kasim glaubte beinahe, die Türe zu hören, die Ranulf in seinem Innersten zuschlug. Nun wirkte er wieder so unnahbar und verschlossen wie immer.
„Was hast du hier eigentlich zu suchen? Siehst du nicht, dass ich allein sein will?“
„Doch“, erwiderte Kasim schlicht und machte sich an den Falten seines erdfarbenen Kaftans zu schaffen. „Aber Freunde sind dazu da, dass sie sich in schweren Zeiten den Rücken stärken.“
Ranulfs Kopf zuckte herum, und in seinen dunkelblauen Augen blitzte eine deutliche Warnung auf. „Dann verschwinde! Wir sind keine Freunde!“
Vermutlich hätten diese schroffen, abweisenden Worte jeden anderen in die Flucht geschlagen. Kasim hingegen entlockten sie nur ein breites Grinsen. Die mürrische Art seines Freundes konnte ihn nicht treffen, denn er wusste, dass seine barschen Worte nur selten verletzend gemeint waren. Viel mehr waren sie Ranulfs Versuch, die Menschen um ihn herum zu schützen, indem er sie brüsk von sich stieß.
„Du kannst dich mit Händen und Füßen dagegen wehren, Ranulf, und trotzdem änderst du nichts daran. Wir sind Freunde. Außerdem würdest du mich vermissen, wenn ich wirklich ginge.“
Ranulf blickte in das grinsende Gesicht des Syrers und hob zweifelnd eine Augenbraue. „Gib mir die Gelegenheit, das selbst herauszufinden.“
Kasim schüttelte entschieden den Kopf. „Das ist nicht nötig. Ich weiß, dass du mein hübsches Gesicht vermissen würdest.“
Die darauf folgende Stille zog sich einige Sekunden in die Länge, bevor Ranulf erneut das Wort ergriff. „Du bist mit Abstand der sturste Esel, dem ich jemals begegnet bin.“
„Ich hatte einen guten Lehrer.“
Ranulf schüttelte resigniert den Kopf und betastete gedankenverloren den goldenen Ring an seinem Finger. „Es ist mein Ernst. Es wird Zeit für dich, wieder deiner eigenen Wege zu ziehen. Ich kann nicht länger bleiben.“
Kasim zog die Stirn in Falten, während er aufmerksam den Blick über Ranulfs hünenhafte Gestalt gleiten ließ. Erst jetzt fiel ihm das schwere Kettenhemd auf, das dieser noch immer trug. Das Ding wog
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