Imagica
gesehen hatte. Auf diese Weise entstehen Legenden aus unschuldigen Lügen, dachte Zacharias.
Vor der Tür des Hauses wich Efreet zur Seite, damit Gentle als erster über die Schwelle treten konnte. Sein plötzliches Erscheinen erschreckte die Frau im Innern des schlichten Gebäudes: Sie ließ die Katze fallen, die sie gerade gestreichelt hatte, und sank auf die Knie. Gentle bat sie verlegen, sich wieder zu erheben, doch er mußte diese Aufforderung mehr-289
mals wiederholen, bevor sie ihr nachkam. Und selbst dann hielt sie den Kopf gesenkt und musterte ihn nur aus den Augenwinkeln. Sie war klein, kaum größer als ihr Sohn, und unter dem Flaum verbarg sich ein Gesicht mit zarten, sanften Zügen. Ihr Name lautete Larumday, und sie meinte, es freue sie sehr, Gentle und seiner Gefährtin (offenbar hielt sie Pie für eine Frau) ihre Gastfreundschaft anbieten zu dürfen. Der jüngere Sohn Emblem mußte bei der Vorbereitung einer Mahlzeit helfen, während Efreet versuchte, einen Käufer für den Wagen zu finden. Im Ort hatte niemand für ein solches Fahrzeug Verwendung, aber in den Bergen lebte ein Mann, der vielleicht etwas damit anfangen konnte. Er hieß Coaxial Tasko, und Efreet war sehr schockiert als er erfuhr, daß Gentle und Pie noch nie etwas von ihm gehört hatten.
»Alle kennen den Armen Tasko«, sagte er. »Er war König in der Dritten Domäne, doch sein Volk starb aus.«
»Führst du mich zu ihm, morgen früh?« fragte Pie.
»Bis morgen früh dauert's noch ziemlich lange.«
»Also heute abend«, erwiderte der Mystif, und Efreet nickte.
Das Essen war einfacher als die Kost in den Herbergen entlang der breiten Fernstraße, aber deshalb schmeckte es keineswegs schlechter: in Kräuterwein mariniertes Doekifleisch, dazu Brot, verschiedene eingelegte Spezialitäten, unter ihnen apfelgroße Eier, und eine Brühe, so scharf wie Chili - sie trieb Tränen in Gentles Augen, was Efreet für amüsant zu halten schien. Während sie aßen und tranken - der Wein war recht stark, aber die Jungen schütteten ihn wie Wasser in sich hinein - erkundigte sich Zacharias nach dem Marionettentheater. Efreet nutzte sofort die Gelegenheit, mit seinem Wissen anzugeben. Er erklärte: Die Puppenspieler wären auf dem Weg nach Patashoqua, sie zögen vor der Schar des Autokraten her, die einige Tage später das Gebirge überqueren würde. In Yzordderrex seien die drei jungen Männer und ihre Marionetten sehr berühmt, fügte Efreet hinzu, und 290
daraufhin brachte ihn seine Mutter zum Schweigen.
»Aber, Mama...«, begann er.
»Du sollst still sein. Ich möchte nicht, daß in meinem Haus über so etwas gesprochen wird. Denk daran: Dein Vater suchte jene Stadt auf und kehrte nie zurück.«
»Und ich möchte ihm folgen, nachdem ich das Fröhliche Ti'
Ti' in Patashoqua gesehen habe«, sagte Efreet trotzig, was ihm einen tadelnden Klaps auf den Kopf einbrachte.
Anschließend verlor die Konservation an Lebhaftigkeit. Erst nach dem Essen, als Efreet Vorbereitungen dafür traf, Pie zum Armen Tasko zu begleiten, verbesserte sich die Stimmung des Jungen, und er zeigte wieder den gleichen Enthusiasmus wie vorher. Gentle wollte sich dem Mystif und Efreet anschließen, aber der Knabe legte ihm nahe, seiner Mutter - sie befand sich gerade nicht im Zimmer - Gesellschaft zu leisten.
»Bleib bei ihr«, sagte Pie, als Efreet nach draußen lief.
»Wenn Tasko den Wagen nicht will, müssen wir vielleicht deinen Körper verkaufen.«
»Ich dachte, dafür bist du der Experte«, entgegnete Gentle.
»Na, na...«, Pie schmunzelte kurz. »Wir haben uns doch darauf geeinigt, nicht mehr über meine zweifelhafte Vergangenheit zu sprechen.«
»Geh nur«, brummte Gentle. »Überlaß mich Larumdays Erbarmen. Aber nachher mußt du mir dabei helfen, den Flaum zwischen den Zähnen hervorzuziehen.«
Larumday war in der Küche und knetete Teig für das Brot des nächsten Morgens.
»Sie haben unser Heim geehrt, indem Sie hierherkamen und den Tisch mit uns teilten«, sagte sie, ohne die Arbeit zu unterbrechen. »Bitte nehmen Sie keinen Anstoß an der Frage, aber...«, die Stimme wurde zu einem besorgten Flüstern. »Was wollen Sie von uns?«
»Nichts«, erwiderte Gentle. »Sie sind schon mehr als großzügig gewesen.«
291
Larumday warf ihm einen durchdringenden Blick zu, in dem Zacharias einen stummen Vorwurf zu entdecken glaubte.
»Ich habe davon geträumt, daß jemand kommt«, sagte sie.
»Weiß und haarlos, wie Sie. Ich wußte nicht, ob ich einen Mann
Weitere Kostenlose Bücher