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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Knaben nicht etwa, sondern erfüllte ihn mit Begeisterung.
    »Sag mir, was du willst, Mystif«, forderte Tasko den Fremden auf, als sie zum Tal zurückkehrten. »Du bist bestimmt nicht so weit nach oben geklettert, um die Sterne zu beobachten. Oder vielleicht doch. Hast du dich verliebt?«
    Efreet kicherte in der Dunkelheit hinter ihnen.
    »Selbst wenn das der Fall wäre...«, entgegnete Pie. »Ich würde nicht darüber sprechen.«
    »Was ist dann der Grund?«
    »Ich bin mit einem Freund gekommen, und wir... wir haben einen weiten Weg zurückgelegt. Unser Fahrzeug funktioniert nicht mehr zuverlässig. Wir möchten es gegen Tiere eintauschen.«
    »Wohin seid ihr unterwegs?«
    »Ins Gebirge.«
    »Habt ihr die dafür notwendigen Vorbereitungen getroffen?«
    »Nein. Trotzdem müssen wir die Reise unternehmen.«
    »Ich glaube, je schneller ihr das Tal verlaßt, desto sicherer sind wir. Fremde locken Fremde an.«
    »Hilfst du uns?«
    »Ich schlage folgendes vor«, sagte Tasko. »Wenn ihr Beatrix jetzt verlaßt, gebe ich euch die nötige Ausrüstung und zwei 297

    Doeki. Aber ihr müßt euch beeilen, Mystif.«
    »Ich verstehe.«
    »Wenn ihr jetzt aufbrecht, rollen die Maschinen vielleicht an diesem Tal vorbei.«
    4
    Gentle hatte niemanden, der ihn durch die Dunkelheit führte, und schon nach kurzer Zeit verlor er die Orientierung. Aber er entschied sich dagegen, ins Dorf zurückzukehren und dort auf Pie zu warten, statt dessen kletterte er weiter durch die Finsternis. Weiter oben erhoffte er sich einen guten Ausblick und kühlen Wind, der seine Benommenheit vertreiben könne.
    Kurze Zeit später raubten ihm Kälte und das vor ihm liegende Panorama den Atem. Zacharias sah im Schimmer der hellen Nacht eine Bergkette nach der anderen emporragen, und die fernsten Gipfel schienen am dunklen Firmament zu kratzen - er bezweifelte, ob es in der Fünften Domäne etwas Vergleichbares gab. Hinter ihm, zwischen den sanfteren Silhouetten der Vorberge und Hügel, bemerkte er den Wald, durch den sie gefahren waren.
    Erneut wünschte er sich eine Karte dieser Welt, um einen Eindruck von der Entfernung zu gewinnen, die sie bisher zurückgelegt hatten und noch zurücklegen würden. Er versuchte, die Landschaft vor dem inneren Auge aufs Wesentliche zu beschränken, ihr die Struktur einer jener Skizzen zu geben, wie er sie für zu malende Bilder verwendete: hier Symbole für Berge und Hügel, dort Markierungen, die auf Ebenen und Wälder hinwiesen. Doch angesichts der grandiosen Szene vor ihm war es unmöglich, irgend etwas auf einer mentalen Karte zu symbolisieren und auf die Bedeutung von Kennzeichnungen zu reduzieren. Gentle gab den Versuch auf und begnügte sich damit, die Jokalaylau zu bewundern. Sein Blick strich umher, glitt über die Hänge ihm direkt gegenüber.
    Er begriff plötzlich die Symmetrie des Tals: auf beiden Seiten 298

    gleich große Hügel. Aufmerksam hielt er Ausschau, obgleich es eigentlich sinnlos war, über eine so große Distanz hinweg nach Anzeichen von Leben zu suchen. Doch je länger er die Hänge auf der anderen Seite beobachtete, desto mehr wuchs die Überzeugung in ihm, daß sie einen dunklen Spiegel darstellten, daß von dort jemand zu den Schatten hinüberblickte, die ihn umhüllten, auf der Suche nach einer verborgenen Gestalt. Dieser Gedanke faszinierte ihn zunächst, um dann Unruhe in ihm entstehen zu lassen. Er fröstelte, und diesmal lag es nicht nur an der Kälte. Tief in seinem Innern zitterte etwas, und er erstarrte, konnte sich nicht mehr von der Stelle rühren, aus Furcht, dann von dem Unbekannten gesehen zu werden - eine Entdeckung, die etwas Schreckliches nach sich ziehen würde. Lange Zeit hockte er reglos im Dunkeln, während um ihn herum der kalte Wind flüsterte und seltsame Geräusche zu ihm trug. Brummende Motoren; das Klagen hungriger Tiere; schluchzende Stimmen. Aus irgendeinem Grund wußte Gentle: Die Geräusche und der Beobachter am Spiegelhügel gehörten zusammen. Der Unbekannte war nicht allein gekommen, sondern mit Maschinen und Tieren. Und er brachte Tränen.
    Als der Frost den Kern seines Selbst erreichte, hörte er, wie Pie'oh'pah tief unten am Hang nach ihm rief. Er hoffte inständig, daß der Wind nicht drehte, um den Ruf - und damit einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort - zu dem Namenlosen in der Finsternis zu wehen. Fünf gräßliche Minuten verstrichen auf diese Weise, während sich gemischte Gefühle in ihm regten: Ein Teil von ihm wünschte sich Pie herbei, um ihn zu

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