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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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oder eine Frau erwarten sollte, aber jetzt, da Sie hier an dem Tisch sitzen... Sie sind die Gestalt, die ich in meinen Träumen sah.«
    Erst Tick Raw und jetzt sie, dachte Gentle. Warum glaubten die Leute, ihn zu kennen? Trieb sich in der Vierten Domäne ein Doppelgänger von ihm herum?
    »Für wen halten Sie mich?« fragte er.
    »Ich weiß nicht... Ich weiß nur eines: Mit Ihrer Ankunft wird sich alles ändern.«
    Plötzlich strömten ihr Tränen aus den Augen und rannen über den seidenen Wangenflaum. Der Anblick ihres Kummers betrübte und bestürzte Gentle; er wußte, daß er die Ursache war, doch der Grund blieb ihm rätselhaft. Larumday hatte von ihm geträumt - das schockierte Erkennen in ihren Augen, als er über die Türschwelle getreten war, bewies das eindeutig. Doch welche Folgen ergaben sich daraus? Was bedeuteten die Träume? Der Zufall hatte Pie und ihn zu diesem Ort geführt, und morgen früh wollten sie ihn wieder verlassen. Beatrix war nur eine Zwischenstation, weiter nichts. Gentle nahm sicher keinen nachhaltigen Einfluß auf das Leben der Familie und bot ihr höchstens Gesprächsstoff.
    »Ich hoffe, Ihr Leben verändert sich nicht«, sagte er. »Hier scheint es recht angenehm zu sein.«
    »Ja, das stimmt.« Larumday wischte die Tränen weg. »Es ist ein sicherer Ort, gut dafür geeignet, Kinder großzuziehen.
    Efreet wird mich bald verlassen. Er will Patashoqua sehen; es zieht ihn in die Ferne. Aber Emblem bleibt. Er mag die Berge, und es gefällt ihm, die Doeki zu hüten.«
    »Und Sie? Bleiben Sie ebenfalls?«
    »O ja« antwortete Larumday. »Für mich ist die Zeit der 292

    Wanderschaft vorbei. Einst habe ich in Yzordderrex gewohnt, in der Nähe des Oke T'Noon. Dort lernte ich Eloigh kennen.
    Unmittelbar nach der Heirat zogen wir fort. Yzordderrex ist eine schreckliche Stadt.«
    »Warum kehrte Ihr Mann dann dorthin zurück?«
    »Sein Bruder trat in die Armee des Autokraten ein, und als Eloigh davon hörte, wollte er ihn zur Vernunft bringen. Er meinte, es brächte der Familie Schande, einen Bruder zu haben, der sich von einem Waisenmacher bezahlen ließ.«
    »Ein Mann mit festen Prinzipien.«
    »Ja«, sagte Larumday, und jetzt klang ihre Stimme zärtlich.
    »Ein guter Mann. Still, wie Emblem, aber mit Efreets Neugier.
    Die Bücher in diesem Haus gehören ihm. Er hat immer gern gelesen.«
    »Ist er schon lange fort?«
    »Zu lange«, entgegnete die Frau. »Ich fürchte, sein Bruder hat ihn umgebracht.«
    »Ein Brudermord?« Gentle schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht glauben.«
    »Yzordderrex nimmt seltsamen Einfluß auf das Denken und Fühlen. Selbst gute Männer fallen dort innerer Fäule anheim.«
    »Nur Männer?« fragte Gentle.
    »Männer bestimmen das Geschick dieser Welt«, sagte Larumday. »Es gibt keine Göttinnen mehr. Überall setzt sich das Männliche durch.«
    Sie verzichtete auf eine Bewertung, nannte nur eine Tatsache, und Gentle konnte ihr nicht widersprechen. Dann fragte sie ihn, ob er eine Tasse Tee wünschte, aber er lehnte ab und meinte, er wolle sich draußen ein wenig die Beine vertreten und vielleicht Pie'oh'pah nachgehen.
    »Ist sie ebenso weise wie hübsch?« fragte Larumday.
    »O ja«, sagte Gentle. »Es mangelt ihr nicht an Weisheit.«
    »So etwas kommt bei Schönheiten nur selten vor, oder?
    Seltsam, daß ich nicht auch von ihr geträumt habe.«
    293

    »Vielleicht war das der Fall. Vielleicht haben Sie es nur vergessen.«
    Efreets Mutter schüttelte den Kopf. »Nein. Der Traum hat sich oft wiederholt, und er war immer der gleiche. Eine weiße, haarlose Person sitzt an meinem Tisch, speist mit mir und meinen Söhnen.«
    »Ich bedauere, daß ich Ihnen keine angenehmere Gesellschaft geboten habe«, sagte Gentle.
    »Sie sind erst der Anfang, nicht wahr?« fragte Larumday.
    »Was kommt nach Ihnen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht Ihr Mann von Yzordderrex.«
    Larumdays Blick verriet Skepsis. »Etwas kommt«, murmelte sie. »Etwas, das alles verändert.«
    3
    Efreet hatte einen leichten Aufstieg in Aussicht gestellt, und er behielt recht, sofern es allein den Hang und das Terrain betraf.
    Aber in der Dunkelheit erwies sich die Route als recht schwierig, selbst für den leichtfüßigen Pie'oh'pah. Efreet bewährte sich aber als guter, rücksichtsvoller Führer. Er ging langsamer, wenn der Abstand zu Pie wuchs, und warnte ihn, sobald das Gelände besondere Probleme bescherte. Nach einer Weile befanden sie sich hoch über dem Dorf. Hinter den Hügeln, zwischen

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