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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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gewesen sein, die ich den Tunnel hinabgelaufen war. Fasziniert nahm ich die steinernen Zeugnisse einer vergessenen Kultur in mich auf, ohne dabei auf den Boden zu achten, über den ich schritt. Wahrscheinlich war diese Nachlässigkeit der verhängnisvollste Fehler meines Lebens, doch welches Gewicht besaß er im Nachhinein noch gegenüber all den Torheiten, die mit meiner Entscheidung begonnen hatten, diese Reise ins ewige Eis anzutreten? Hätte ich doch nie den Entschluss gefasst, weiterzureisen, nachdem die mächtigen Gletscher der grönländischen Küste vor dem Bug der Fajir aufgetaucht waren und das Schiff in Scoresby angelegt hatte. Hätte ich doch nie in der Breva-Station Quartier bezogen und vor allem niemals einen Fuß in den Aqunaki-Tempel gesetzt. Hätte ich meinen Träumen nur mehr Bedeutung zugemessen – und lediglich ein einziges Mal zu Boden geschaut, während ich staunend durch den Tunnel lief.
    Das Beben, das in diesem Augenblick den Berg erschütterte, war heftiger als sämtliche Erschütterungen zuvor. Ich torkelte Halt suchend, und plötzlich schien mir der Grund unter den Füßen weggerissen zu werden. Mit einem überraschten Schrei stürzte ich nach hinten. Gleichzeitig rutschte ich auf einer feuchten, schmierigen Substanz über den abschüssigen Boden tiefer in den Tunnel hinein. Ich schrie gegen das unvermeidbare Unheil an, bemühte mich vergeblich, auf dem glitschigen Tunnelboden Halt zu finden. Innerhalb kürzester Zeit war meine gesamte Kleidung mit Schleim vollgesogen und machte mich nur noch schwerer und ungelenker. Die Taschenlampe war mir aus der Hand gefallen und schlitterte in immer größerer Entfernung hinter mir her.
    Ich warf meinen Körper herum, versuchte, meine Finger ins Gestein zu krallen und mich mit den Fersen abzubremsen. Panik vernebelte meinen Verstand, als ich mich an die ätzende Wirkung des Schleims erinnerte. Die größte Angst jedoch hatte ich vor der unbekannten Finsternis, in die ich hinabglitt. Als ich längst nicht mehr damit gerechnet hatte, lag ich plötzlich wieder still; zitternd, nach Luft japsend und mit verkrampften Gliedern. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, gelähmt von der Furcht, bereits ein leichtes Entspannen der Muskeln könnte mich den trügerischen Halt verlieren und noch tiefer in den Tunnel hinab rutschen lassen.
    Nur langsam gewann ich meine Fassung zurück und riskierte es schließlich, mich vorsichtig auf die Knie zu erheben. Wie in Zeitlupe kroch ich bis zur Tunnelwand, wo ich den Boden wesentlich trockener vorfand. Meine gesamte Haut brannte wie Feuer, meine Augen tränten, und in meinem Mund und meiner Kehle verspürte ich ein schmerzhaftes Stechen, als hätte ich mich an dem ätzenden Schleim verschluckt. Mit verschleiertem Blick starrte ich hinauf in den Tunnel, auf das Licht der langsam zu mir herabschlitternden Taschenlampe. Die Mag-Lite rotierte um sich selbst und ließ ihren Strahl wie ein Leuchtturmlicht durch die Dunkelheit zucken. Mit weichen Knien stemmte ich mich an der Wand empor, versuchte abzuschätzen, wie weit ich den Tunnel hinabgerutscht sein könnte.
    Hunderte von Metern, Akademiker, höhnte die Stimme. Du bist der Hölle näher ab je zuvor …
    Ich begann der Taschenlampe entgegenzulaufen, jeden Schritt ausbalancierend und betend, dass ihr Licht nicht erlöschen möge. Einhundert Meter trennten mich vielleicht noch von der abwärtsgleitenden Lampe, als der Boden unter meinen Füßen zu vibrieren begann. Betäubt von der Angst, erneut den Halt zu verlieren, kauerte ich mich auf der Stelle zusammen. Ich nahm einen leichten Luftzug in meinen Augen wahr, den ich auf meiner feuchten Haut nicht spürte. Innerhalb weniger Sekunden schwoll der Windhauch zu einem wahren Sturm an, der von der Kaverne herabfegte, begleitet von einem gespenstischen Heulen, das den Tunnel zu erfüllen begann.
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich hinauf in die Finsternis, auf den diffusen Nebel, den der rotierende Lichtstrahl der Mag-Lite erfasste, sobald ihr Strahl bergauf wies. Er riss den oberen Tunnelabschnitt nur für jeweils zwei oder drei Sekunden aus der Dunkelheit, doch die darauffolgende Schwärze wurde mehr und mehr von einem irisierenden Glühen erleuchtet, das die gesamte Breite des Stollens auszufüllen schien und beunruhigend schnell an Intensität gewann. Mittlerweile zerrte der Sturm so heftig an meinem Körper, dass ich Mühe hatte, meine Position zu wahren. Aber es war nicht der Wind, der den Tunnel mit ohrenbetäubend

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