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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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meine Ohren. Es klang, als ob ein riesiger Bulldozer Tonnen von Gesteinsschutt vor sich her über den Kavernenboden schiebe.
    Ich verspürte den Wunsch, die Augen zu schließen, still liegen zu bleiben, zu vergessen; einfach abzuwarten, bis der Shoggothe durch das Tor herabquoll und meinen Körper unter seinem Gewicht zermalmte. Doch der Lärm herabstürzender Felsen ebbte wieder ab. An seine Stelle trat jenes wohlbekannte, unwirkliche Flüstern, begleitet von einem eigenartigen, sich nähernden Geräusch, das dem Summen einer Stimmgabel ähnelte. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, bis mich etwas am Bein berührte. Von blinder Furcht ergriffen wirbelte ich herum und erkannte einen langen, feinen Tentakel, der sich blitzartig wieder von mir zurückzog – hinauf zum Torsims, wo das schillernde Geschöpf hockte, das ihn ausgesandt hatte.
    Es besaß keine Augen, doch ich wusste genau, dass es mich in der Dunkelheit sah und anstarrte. Einer der kürzeren Fangarme, die aus seinem Körper wuchsen, hielt einen zylinderförmigen Gegenstand umschlungen. Unvermittelt zuckte ein Licht auf, und das längliche Gebilde flog auf mich zu. Im ersten Moment spürte ich einfach nur den Reflex, dem wirbelnden Licht auszuweichen. Dann zwang mich mein Instinkt, das Ding zu fangen – und meine Hände schlossen sich um das blutverschmierte Gehäuse von DeFries’ Taschenlampe.
    Das Gallertwesen war beim Aufleuchten der Mag-Lite vom Krater zurückgewichen. Ich erkannte es in einiger Entfernung zur Öffnung, fast so, als fürchte es, ich könnte den Strahl erneut auf es richten wie zuvor im Stollen. Zögernd erhob ich mich und lief unter das Rund, wobei ich die Taschenlampe auf den Boden gerichtet hielt. Die Talalinqua-Kreatur glitt heran, ließ jedoch nicht mehr als ihren Kopf erkennen.
    Ich blickte zu ihr hinauf, rang nach Worten. »Warum hilfst du mir?«, flüsterte ich. Das Geschöpf blieb stumm. »Kannst du mir heraushelfen?« Ich streckte meine freie, von Blasen übersäte Hand empor. »Verstehst du? Nach oben! Ich brauche ein Seil!«
    Nicht hinaus, erklang eine unmenschliche Stimme in meinem Kopf. Hinein. Hinein …
    Dann verschwand das Wesen in der Dunkelheit.
     
    Kindheitserinnerungen wurden wach; Erinnerungen an finstere Räume, in die mich mein Vater gesperrt hatte, den Lichtschalter auf seiner Seite der verschlossenen Tür. Jahrelang war ich nachts in meinen Träumen durch finstere, endlose Gänge geirrt, verfolgt von unsichtbaren Jägern, die näher und näher gekommen waren und das Gesicht meines Vaters besessen hatten. Irgendwann waren geschlossene Türen aufgetaucht, durch deren Ritzen Licht drang, und ich war von panischer Angst getrieben auf diese Hoffnungsschimmer zugerannt. Als ich sie jedoch aufgestoßen hatte, war ich in Dunkelheit gefallen; und ich hatte geschrien, geschrien und geschrien, und meine grauenhaften Fantasien waren über mich gekommen und hatten begonnen, mich zu zerfleischen …
    Meine Finger hatten sich um den Griff der Taschenlampe gekrampft. Ich leuchtete zur Decke, hinein in das klaffende Loch. Dabei erfasste der Strahl für einen Moment die umliegende Gewölbedecke, und ich richtete ihn augenblicklich wieder darauf zurück. Links und rechts der Öffnung befand sich je ein Halbrund, dessen Oberflächenbeschaffenheit nicht mit der der eigentlichen Decke übereinstimmte. Zusammengesetzt entsprachen beide exakt der Größe des Tors.
    Die zwei Hälften der Deckplatte fügten sich so nahtlos in das umliegende Gestein ein, als ruhten sie in eigens dafür vorgesehenen Vertiefungen. Ich versuchte vergeblich zu erkennen, was für ein Mechanismus für ihr Öffnen und Schließen verantwortlich sein mochte. Es sah aus, als seien die Platten einfach ins Gestein geglitten.
    Beide Hälften besaßen kleine kreisrunde Mulden, wobei die markanteste von der auseinander gedrifteten Platte in der Mitte gespalten worden war. DeFries hatte tatsächlich Recht behalten: Auf der Unterseite der Steinplatte befand sich das Gegenstück zu der fremdartigen Konstellation auf der Oberseite. Sollte die dortige Mittelvertiefung tatsächlich unsere Sonne darstellen und die Löcher, die sie umgaben, ein Sternbild, wie man es von einem anderen Ort im Universum am Himmel erblickt – dann müsste das Sternbild auf der Unterseite den irdischen Nachthimmel darstellen; mit dem Heimatstern der Erbauer im Zentrum.
    Ich ließ den Strahl der Lampe wandern, versuchte, das geteilte Sternbild im Geiste zusammenzusetzen. Die Jahrtausende alte

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