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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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an allem, auch am Schreibtisch des Vaters, Ausreisedokumente, Geburtsurkunden, alle wichtigen Papiere verschwunden. Der Vater bemerkte es erst am Abend. Panik. Er fragte die Mutter. Verzweiflung. Er fragte die Packer. Schulterzucken. Schatzsuche zu später Stunde. Kiste für Kiste im Arbeitszimmer, bis alles wieder auf dem Schreibtisch lag. Aufatmen. Großmama bot Kaffee an. Verwickelte die Packer in Gespräche. »Sagen Sie, machen Sie das eigentlich gerne?« Sie blickten sich um. »Beim Manfred hatten wir noch mehr zu tun.« Sie bot belegte Brote an. »Sagen Sie, machen Sie das eigentlich immer so?« Sie sahen die alte Bauerntruhe. »So einen Schrank haben wir bei der Sarah eingeladen.« Sie sagten nicht Krug, nicht Kirsch, nur die Vornamen, als seien unsere Freunde auch ihre Freunde.
    Nicht alles, was in jenen Tagen geschah, ist noch gegenwärtig. Vieles ist verdrängt. Oder vergessen? Beides, denke ich. Ein weißer Fleck auf der Seelenlandkarte, nur die Himmelsrichtung ist eine andere, jetzt liegt der Fleck im Osten.
    Am 9., Freitag, muss alles gepackt gewesen sein. Zollbeamte betraten unsere Wohnung. Sie durchkämmten die Zimmer, als bewegten sie sich auf feindlichem Gebiet. Die Bücherliste musste vorgelegt werden, sie war unvollständig. Der Zolloffizier sah sich die Liste an und sagte: »Biermann haben Sie auch?«
    Der Vater: »Ja.«
    »Na, mit dem haben wir es richtig gemacht.«
    Der Vater sah ihn fragend an.
    »Er ist raus und vergessen.«
    Sie machten Stichproben. Sie fanden ein Notenheft mit einem Stempel der Musikbibliothek Köpenick. Ein Zollbeamter sagte: »Alles auspacken!« Totenstille. Und der Gedanke der Mutter, des Vaters? Das schaffen wir nie. Der Vater ging aus dem Zimmer, die Mutter war wie gelähmt. »Zunageln!« sagte der andere Zollbeamte mit einer Armbewegung wie ein zufallender Deckel. Die Kisten wurden verplombt mit einem Bleisiegel an schwarz-rot-goldener Schnur.
    Sie notierten Namen, Telefonnummern und Adressen von Postkarten am Spiegel im Flur, von Zetteln auf dem Schreibtisch des Vaters. Sie sahen sich alles an und hatten keine Angst, gesehen zu werden. Sie kontrollierten sogar das Reisegepäck: 4 Koffer mit persönlicher Garderobe, 1 Koffer mit Schuhen und Hausapotheke, 1 Reisetasche mit Nachtwäsche, 1 Reisetasche mit Geschenken, 1 Reisetasche mit Garderobe, Kofferradio, Kassettenrekorder, 1 Schmuckkassette mit persönlichen Schmucksachen, 1 Schulmappe mit Spielzeug, 1 Puppe, 1 Stoffhund, 2 Handtaschen, 1 Fön, 2 Schlafdecken, 1 Beutel. Auch das Reisegepäck wurde mit Zollverschlüssen verplombt.
    Die Liste hatte die Mutter geschrieben, handschriftlich, ich fand sie in den Akten. Im ersten Moment schmunzele ich darüber hinweg. Dieser Grad der Überwachung, die Penibilität hat etwas Groteskes. Ich frage mich, ob es den Beamten nicht peinlich gewesen sein muss, alles zu durchwühlen, sogar das Spielzeug in Augenschein zu nehmen. Das Schmunzeln vergeht mir im zweiten Moment. Eine Umkehrung findet statt. Mir ist es peinlich – schmerzhaft –, wenn ich jetzt, im nachhinein lese, dass diese Leute im Privatesten herumschnüffelten. Dass sie das Negligé der Mutter in der Hand hatten, in dem sie in der Nacht im Westen zu Bett gehen würde, den Schmuck, den Großmama getragen hatte, die Urgroßmama. Dass sie die Puppe, den Stoffhund inspizierten. Diese Finger in unseren Sachen, dieser Raub der Intimität – das ekelt mich an. Immer wieder wird mir durch diese scheinbar kleinen, dokumentierten Ereignisse das Ausmaß der Schamlosigkeit bewusst, der Niedertracht. Der Teufel steckt im Detail, heißt es. Die Details sind es, die besonders verletzen. Eine einzelne Seite in dem Tausende Seiten Blätterwald, ein einziger Satz. Manchmal nur ein Wort.

    Wie ging es an dem Abend des 9. Dezember weiter? Nebel. Auch Gespräche lösen ihn manchmal nicht auf.
    Der Vater: »Weißt du, was mir nicht klar ist? Wie und wo wir übernachtet haben am 9. abends.«
    Die Mutter: »Am 9. Dezember waren wir in der Bogenstraße bei Jan und Reni.«
    Der Vater: »An die Atmosphäre erinnere ich mich. Es gab Bouletten.«
    Die Mutter: »Daran kannst du dich erinnern!«
    Der Vater: »Geschneit hat es nicht.«
    Die Mutter: »Die Kisten waren gepackt, aber die Möbel waren noch nicht aufgeladen.«
    Der Vater: »Nein, verschneit war es nicht.«
    Die Mutter: »Die Mädchen haben in der Bogenstraße übernachtet.«
    Der Vater: »Und wir?«
    Die Mutter: »Wir haben jedenfalls nicht in der Bogenstraße

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