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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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will.
    Oft habe ich die Schwester beneidet, die sich kaum an jene Zeit erinnert. Oft klagt sie, ihr fehle ein Stück Biographie. Ich denke, sei froh, dass deine erst später beginnt. Man muss nicht alles wissen.

    Seit Stunden überfällig. Der Bruder der Mutter, Tante und Cousins erwartungs- und sorgenvoll. Eine Käsetorte blieb von den Vätern unangerührt, sie reparierten in der Garage bei Licht das Licht am Wagen, während die Mütter von Cousins und Cousinen ihre Teller leer aßen. An Gespräche nicht zu denken, Ablenkung mit der Fertigung von Reiseproviant. »Wer weiß, was euch noch alles erwartet.«
    Nach der Reparatur des einen war der andere Scheinwerfer lichtlos und der Tag noch schneller zu Ende. Das Ticken der Uhren wurde mit fortschreitender Stunde lauter, auch die Stimmen der Kinder. Der Abschied dann in nervöser Hast. Das Geld, das der Vater den Cousins schenken wollte, wurde auf Rat für Benzin verbraucht. »Kommt ihr wenigstens vollgetankt drüben an.«
    Es ging weiter durch die Nacht. Geräuschvoll näherte sich der Wagen dem Posten. Der Motor wurde ausgestellt. Stille. Der Posten mit eiserner Gesichtsleere kontrollierte schweigend, vorschriftsmäßig, zügig, so, als wollte er, dass alles leise über die Bühne ginge, ohne besondere Vorkommnisse, als fiele gar nichts vor, als existierte dieser Moment nicht.
    Mit zu lautem russischen Motorengeräusch fuhren wir langsam über eine Brücke durchs Nichts und tauchten plötzlich in gleißendes Weiß aus Flutlicht.
    »Jetzt sind wir im Westen«, sagte der Vater.
    Halt. Der Vater musste aussteigen und folgen. Seine lange Abwesenheit weckte auf gedacht sicherem Boden Unsicherheit bei den Wartenden im Wagen. Der Grenzpolizist in grünerer Uniform brachte ihn endlich zurück.
    »Warum hast du denn ein Schießgewehr? Sind wir jetzt bei den Indianern?« fragte die Schwester den Mann.
    Die Antwort blieb er schuldig.
    Was hatten wir erwartet, ein Lächeln, eine Begrüßungsformel? Ein »Willkommen in Ihrem neuen Leben«? Ich sage, was wir erwarteten: bunte Lichter, andere Luft, ein Gefühl der Erleichterung. Jedenfalls keinen wortkargen Grenzpolizisten, der uns nicht weniger bedrohlich erschien als der von der anderen Seite.
    Eingeschüchtert fuhren wir weiter. Vor uns eine lange Landstraße. Dunkel war es. Der Vater, den Blick starr nach vorne gerichtet, lenkte. Er kannte die Wege nicht. Die Mutter blickte nach vorn, zu ihm, nach rechts, zu uns. Wir blickten aus dem Fenster und sahen uns die Augen wund. Es hatte der Schwester und mir die Sprache nun doch verschlagen.

2
    Jetzt waren wir also da, wo wir hinmussten.
    Warum? Jahrelang hatte sich der Vater vergeblich bemüht, seine Prosa in DDR-Verlagen zu publizieren. Statt dessen 1975 die zynische Empfehlung, es einmal mit der Arbeit auf dem Feld zu versuchen, vielleicht auf einem Mähdrescher. Dann ein Hoffnungsschimmer. 1976 stellte man ihm für den April 1977 einen Fördervertrag in Aussicht, das bedeutete soviel wie einen Vorvertrag. Doch am 20. Dezember teilte der Lektor des Verlages Neues Leben mit, die Hauptabteilung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur habe den Abschluss eines Fördervertrages untersagt, weil der Vater wegen seiner Unterschrift unter den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann nicht förderungswürdig sei.
    Am 4. Januar 1977 sagte der stellvertretende Direktor des Akademie-Instituts, für das der Vater seit 1976 wegen seiner schriftstellerischen Arbeit als freier Mitarbeiter tätig war, er hätte die Zusammenarbeit mit dem Institut rückwirkend zum 31. Dezember 1976 als beendet zu betrachten. Da auch die Übersetzungsaufträge für den Verlag Volk & Welt ausblieben, war guter Rat teuer. Keine Arbeit, keine Möglichkeit der Veröffentlichung in der DDR. Was blieb, war eine Publikation in der Bundesrepublik. Das Manuskript wurde in den Westen geschmuggelt, und der Erzählungsband Versuchte Nähe erschien im August 1977 im Rowohlt Verlag. Kurz nach der Veröffentlichung gab Klaus Höpcke, damals stellvertretender Kulturminister, am 2. September laut Bericht eines GMS »Karlheinz« zu verstehen, »daß es auch Erscheinungen wie Rudolph [1]   Bahro oder Hans-Joachim Schädlich gibt, deren Arbeiten vom Klassengegner bewußt im ideologischen Kampf zu einer massiven Hetze gegen die DDR genutzt werden und denen man höchstes Lob zollt«. Die beste Freundin der Mutter, damals Lektorin im Aufbau Verlag, war dabei und berichtete den Eltern.
    Am 4. September 1977

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