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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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stellte der Vater den ersten Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik. Am 21. September, als noch immer keine Antwort auf den Ausreiseantrag gekommen war, bekräftigte der Vater das Ersuchen schriftlich. Am 29. September äußerte jemand auf einer Mitgliederversammlung der Berliner Abteilung des DDR-Schriftstellerverbandes, das Buch Versuchte Nähe erfülle den Tatbestand der »staatsfeindlichen Hetze«, was nach § 106 des Strafgesetzbuches mit bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft werden konnte. Ein anderer sagte, dass der Vater noch nicht verhaftet sei, sei der Großzügigkeit der Staatsorgane zuzuschreiben, und stellte die Frage, wann man den Autor aus dem Schriftstellerverband, in den er dank einer Bürgschaft von Sarah Kirsch und Roland Links, damals Cheflektor des Verlages Volk & Welt, als Kandidat aufgenommen worden war, ausschließen werde. Klaus Schlesinger berichtete den Eltern. Am selben Tag wurde dem Vater in der Abteilung Innere Angelegenheiten des Stadtbezirks Köpenick mitgeteilt, der rechtswidrige Übersiedlungsantrag sei abgelehnt worden. Die Schlinge zog sich zu.
    Dass tatsächlich ein Strafverfahren nach § 100 des Strafgesetzbuches wegen »staatsfeindlicher Verbindungen« – Anlass war die Freundschaft zu dem Schriftsteller Uwe Johnson – geprüft und von einer eigenen Untersuchungsabteilung des MfS auch eines nach § 106 gegen den Vater vorbereitet wurde, wussten wir damals nicht, erst später, aus den Akten. Während der Untersuchung für einen möglichen Prozess kam man zu dem Schluss, dass es besser sei, von einem Verfahren abzusehen, weil befürchtet wurde, dass Westautoren wie zum Beispiel Günter Grass, Uwe Johnson, Nicolas Born oder Max Frisch es nicht schweigend hinnähmen, wenn der Vater eingesperrt würde. Außerdem hatte es Interviews gegeben. Eines von Karl Corino für den Hessischen Rundfunk, eines von Dirk Sager für das ZDF. Der Schaden, der durch einen Prozess der DDR entstünde, wäre größer als der, den der Vater mit der Veröffentlichung seines Buches angerichtet hätte.
    In der Zwischenzeit wurde auf die Mutter Druck ausgeübt. Von verantwortlichen Leuten an der Humboldt-Universität, sie schrieb noch an ihrer Dissertation, wurde ihr nahegelegt, sich von ihrem Mann zu distanzieren. Man stellte ihr eine glänzende berufliche Laufbahn in Aussicht, man machte ihr Vorhaltungen, »daß sie, die hier gearbeitet hat und auch viel Arbeit investiert hat, jetzt praktisch bei fertiger Arbeit einen solchen Schritt tun wolle, der natürlich grundsätzlich nur unserem Gegner in die Hände spielen kann, in welcher Form auch immer, daß es im Grunde genommen ein Schritt ist in ein Land, das uns todfeindlich gegenübersteht«. Sie sollte es sich gut überlegen, eine Scheidung in Erwägung ziehen. Das sei das Beste. Sie wurde gefragt, wie sie persönlich zu der Entwicklung, zu der Entscheidung ihres Mannes stehe. Die Mutter glänzte dialektisch und sagte, »daß ein objektiver Prozeß, eine objektive Situation entstanden ist, die über ihre subjektiven Entscheidungen, über ihre subjektiven Meinungen, über ihre subjektiven Wünsche regiere, daß ihre subjektive Meinung und ihre Haltung möglicherweise ihre persönlichen Interessensbedürfnisse von dieser subjektiven Situation gleichsam überfahren werde, oder bereits schon überfahren worden sei«.
    Man hatte ihr schon nach einer Versammlung, in der eine positive Haltung zur Ausbürgerung von Biermann erwartet wurde und sie »negativ« aufgefallen war, vorgeschlagen, sich in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Dort wäre sie vor Zugriffen sicher. Jetzt wurde sie gefragt, ob sie wüsste, was es bedeutete, wenn sie sich nicht distanzierte? Die Folgen, nicht auszumalen für sie und ihre Kinder.
    Durch Vermittlung von Günter Grass hatte der Vater seinen Fall Günter Gaus in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR vortragen können, der Unterstützung versprach. Am 10. Oktober nahm Wolfgang Vogel das Anliegen zur Kenntnis. Vogel war in der DDR offiziell Anwalt und zugleich Unterhändler beim sogenannten Häftlingsfreikauf, der Abwicklung von Ausreisewilligen und dem Austausch von Spionen. Am 7. November sagte Vogel, es sei noch nichts entschieden. Am 28. November sollte der Vater zu einer Aussprache im Schriftstellerverband erscheinen, zu der er Klaus Schlesinger als Zeugen mitnehmen wollte. Das wurde abgelehnt. So ging er allein. Einen Tag später berichtete Paul Wiens, IMB »Dichter«: »Schädlich kam

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