Immortal 3 - Schwarze Glut
Und nicht ge195
nug damit – sie öffnete auch noch die Tür genau neben seiner, bevor sie zurücktrat und Christine mit griesgrämiger Miene bedeutete einzutreten.
Christine wollte ihren Augen kaum trauen. Zwar waren weit und breit keine Heinzelmännchen zu entdecken, doch es war nicht zu übersehen, dass sie hier harte Arbeit geleistet hatten. Die weißen Laken, die bei ihrem ersten Erkundungsgang noch alle Möbel bedeckt hatten, waren verschwunden. Die Läden und Fenster standen weit offen, um frische Seeluft hereinzulassen, und alles blitzte und blinkte vor Sauberkeit. Das Zimmer selbst war eher klein und in einer Vielzahl von Rot-und Rosatönen gehalten. Die Wandbehänge waren mit winzigen Rosen bestickt, und der dicke Orientteppich auf den polierten Dielen hatte ein Rosenblattmuster. Die Gemälde stammten ausschließlich von Impressionisten – Monet, Renoir, Degas.
An Mobiliar standen hier ein elegantes Himmelbett mit rosa Rüschenvorhängen, ein zierlicher Schreibtisch, ein goldgerahmtes Kanapee sowie ein Marmorwaschtisch. Alles strahlte eine kultivierte Schönheit aus. In einer Ecke stand ein Spiegelschrank, bei dem es sich um eine femininere Version von Kalens Schrank handelte. Der Platz vor dem knisternden Kamin war von einer Kupferbadewanne eingenommen, die mit dampfendem Wasser gefüllt war. Christines Blick fi el auf das Bild über dem Kamin. Es war Hayez’ Der Kuss . Kalen hatte es aus dem Turmzimmer herbringen lassen.
»Sie müssen ziemlich gewieft auf der Matratze sein«, bemerkte Pearl bissig. »Der Master hat befohlen, dass das Bild umgehängt wird.«
»Aber … als wir vor einer Stunde aus dem Turmzimmer gingen, war es doch noch dort!«
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»Ein Heinzelmännchen hat es gleich danach geholt«, entgegnete Pearl. »Befehl des Masters.«
Er scheint Sie behalten zu wollen.
Göttin, worauf hatte sie sich da eingelassen?
Pearl musterte Christine misstrauisch. »Sie wissen, wer er ist, hab’ ich recht? Was er ist?«
»Ja, das weiß ich. Deshalb bin ich hergekommen.«
»Sie wollen was von ihm. Solche wie Sie wollen immer was von ihm«, konstatierte die Haushälterin mit unverhohlener Verachtung.
»Nicht das, was Sie denken«, erwiderte Christine. »Mir geht es nicht um mich. Es ist wichtig …«
»Ja, ja, na klar! Das ist es immer. Ich hab’ noch nie erlebt, dass ein Weib mit Kalen rumhurt, ohne was Wichtiges zu wollen.«
»Sie verstehen nicht …«
»Will ich auch gar nicht. Sie woll’n ihn ausnutzen, nicht mehr und nicht weniger, genau so ist es! Wie und warum ist wohl egal.«
Pearl stapfte zum Kleiderschrank und zog die Türen weit auf. »Na schön. Der Master sagt, Sie sollen sich zum Abendessen was Helles anziehen – kein Schwarz, kein Grau.«
Dann wühlte sie die Sachen durch und zog mehrere schillernde Kleider aus Seide, Satin und Spitze heraus. Sie sahen aus, als entstammten sie einer Theaterproduktion oder wären sehr gut erhaltene Ballkleider aus einer längst vergangenen Zeit.
»Sie ziehen eins von denen hier an«, bestimmte Pearl und warf die Kleider aufs Bett.
Christine strich über den Spitzenärmel einer Robe aus feinster blauer Seide. »Aber … wo kommen die her? Wem gehören diese Kleider?«
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»Weiß ich nicht. Die waren schon hier, als ich kam.«
Christine schloss die Augen. Hatten die Kleider einer früheren Geliebten von Kalen gehört – oder mehreren früheren Geliebten? Wie viele Frauen mochten es im Laufe der Jahrhunderte gewesen sein? Nun, diese Frage war wohl müßig. Als sie die Augen wieder öffnete, baumelte ein steifes, gefährlich gebogenes weißes Spitzenkorsett an Pearls knubbeligen Fingern. Das Ding sah aus wie eine Art primitives Folterinstrument.
»Das müssen Sie drunter anziehen.«
»O nein!«, wirdersprach Christine. »Auf keinen Fall werde ich ein Korsett tragen!« Das Ding würde ihr die Brüste praktisch bis unters Kinn drücken. Pearl beäugte sie verständnislos. »Der Master hat es befohlen, Mädchen. Ich rate Ihnen, ihm zu gehorchen. Schließlich kriegen Sie leichter von ihm, was Sie wollen, wenn Sie sich ein bisschen anstrengen, ihm zu gefallen.«
Die Haushälterin ließ keinen Zweifel daran, wie angewidert sie war, doch was konnte Christine sagen? Pearl hatte recht. Christine war hier, weil sie etwas von Kalen wollte. Wie sollte sie erklären, dass dieses Etwas nicht der Grund war, weshalb sie mit ihm geschlafen hatte? Noch viel weniger glaubhaft könnte sie erklären, dass sie selbst die Vorstellung widerlich fand, Kalens
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